Hans-Ingo Radatz, „Ausiàs March (1397–1459): Dictats – Gedichte. Anthologie eines valencianischen Klassikers der katalanischen Literatur“, Publikation vorgesehen in Romanische Studien 

Auszug aus dem Vorwort
von Hans-Ingo Radatz

Ihre größten Klassiker verdankt die mittelalterliche katalanische Literatur zweifellos dem damaligen Königreich València: Im Bereich der Prosa ist es Joanot Martorell mit seinem großen, überraschend modernen, Ritterroman “Tirant lo Blanc”; in der Lyrik dagegen findet sich in der gesamten katalanischen Literatur nichts, das dem dichterischen Gesamtwerk Ausiàs Marchs an Qualität, Innovation und Substanz gleichkäme. March ist im gesamten katalanischen Sprachgebiet ein Autor jener Kategorie, nach denen hunderte von Straßen, Schulen, Plätze und Gymnasien benannt werden.

Dank den bekannten Vertonungen durch den valencianischen Liedermacher Raimon teilt Ausiàs March heute nicht das Schicksal vieler mittelalterlicher Lyriker, von denen man zumeist nur den Namen, nicht aber das Werk zu kennen pflegt: Eine Handvoll seiner wichtigsten Gedichte ist gebildeten Katalanen zumindest durch die Raimonschen Lieder vertraut. Der modernen katalanischen Literatur ist March der große Klassiker, dessen Einfluss allenthalben spürbar ist – sei es bei Pere Gimferrer (der March zudem kongenial ins Spanische übertragen hat), sei es bei Vicent Andrés Estellés (dessen Werk von Marchschen Motti durchzogen ist), sei es bei Josep Piera und vielen anderen.

Wenn Ausiàs March im Bewusstsein der internationalen Weltgemeinde der Literatur nicht in einem Atemzug mit Petrarca oder Villon genannt wird, so liegt dies gewiss nicht an der literarischen Bedeutung seines Werks, sondern allein am historischen Schicksal seiner Sprachgemeinschaft: Kurz nachdem March die katalanische Lyrik zu ungeahnten Höhen getrieben hatte, begann eine lange Phase des Niedergangs des Katalanischen als Literatursprache (Decadència), die den Autor von seinem Publikum entfremdete. Nur durch die Vermittlung kastilisch schreibender katalanischer Autoren wie z.B. Joan Boscà (Juan Boscán) fand Marchs Ruf Eintritt in die kastilische Literatur des Siglo de oro. Bei Garcilaso de la Vega, Diego Hurtado de Mendoza, Gutierre de Cetina, Fernando de Herrera, dem Conde de Villamediana und anderen finden sich Passagen, die eine Vertrautheit mit Ausiàs March verraten, so dass dessen Einfluss auf die kastilische Dichtung jener Jahrhunderte in einigen Aspekten mit dem Petrarcas vergleichbar ist. Marchs spätere Rezeption ist lange Zeit dadurch verstellt worden, dass man ihn als einen Trobador unter anderen wahrnahm. Die Einsicht, dass die Marchsche Lyrik eine Gattung sui generis darstellt, verbreitet sich außerhalb des katalanischen Sprachraums mittlerweile langsam aber stetig und findet vor allem in einer regen Übersetzertätigkeit ihren Niederschlag.

Fortsetzung des Vorworts wird erscheinen
in Romanische Studien


Auszug aus den Übersetzungen

XXIII

Den Stil der Trobadore geb’ ich auf ,
die voller Glut die Wahrheit überhöhn,
und mein entflammtes Sehnen mühsam zügelnd,
will ich verkünden, was ich in Dir fand.
Mein Reden muss dem, der Dich nie erblickte,
nichts gelten, weil er Glauben ihm nicht schenkt;
die Seelen, die Dein Innerstes nicht kennen,
fülln sich mit Trauer, wenn sie mir nur lauschen.

Es kann des Toren Blick so dumpf nicht sein,
dass Deinen Leib er edel nicht befände;
doch kennt der schlechter ihn als fein’re Geister:
Das Äuß’re sieht er, doch nicht den Gehalt.
Was nur den Leib betrifft (doch nicht erkennend,
was geistig ist), das fasst der Tölpel wohl:
Er kennt zwar Deine Hülle und Gestalt,
doch von den Gesten schon kann er nichts sagen.

Roh sind wir alle, gilt es auszusprechen,
was einem edlen, schönen Leib gebührt;
manch junger Edelmann hat ihn begehrt
und musste, hungrig, seiner doch entsagen.
Dein Geist vermag, was andre nicht erfassen,
und weiß mit höchster Feinheit umzugehen;
vor guten Werken kennst Du keine Mattheit.
Keusch warst Du nicht: Als Mutter wollt’ Dich Gott.

Allein für Dich reichte der edle Stoff,
den Gott für einzigart’ge Fraun gespart;
zwar schuf er ihrer viele – gute, weise:
Perfekt geriet Teresa ihm allein.
So groß ist der Verstand, der in ihr wohnt,
dass nichts, was existiert, sich ihm entzöge:
Selbst fromme Männer blendet ihre Huld;
ihr Urteil ist den Weisen geist’ge Speise.

Selbst der Venezianer Staat wird nicht
so gut regiert, wie es Dein Geist vermag:
Im Denken feinsinnig, regiert er auch
des schönen Leibs untadlige Bewegung.
Jeder verständ’ge Mann findet Genuss –
ist so gebannt bei Eurer Unterhaltung,
dass seines Leibs Begehren sich nicht wandelt,
in niedre Lust, als wäre tot das Fleisch.

Kehrreim
Oh Lilie unter Disteln, ich vermag
die unsichtbare Krone nicht zu schaffen,
die Dir gebührt – denn das, was sichtbar bleibt,
ist nicht am Platz, wo wahres Wunder waltet.

XXIII

Lleixant a part l’estil dels trobadors
qui, per escalf, trespassen veritat,
e sostraent mon voler afectat
perquè no·m torb, diré·l que trop en vós.
Tot mon parlar als qui no us hauran vista
res no valrà, car fe no hi donaran,
e los veents que dins vós no veuran,
en creure a mi, llur arma serà trista.

L’ull de l’hom pec no ha tan fosca vista
que vostre cos no jutge per gentil;
no·l coneix tal com lo qui és subtil;
hoc la color, mas no sap de la llista.
Quant és del cos menys de participar
ab l’esperit, coneix bé lo grosser:
vostra color i el tall pot bé saber,
mas ja del gest no porà bé parlar.

Tots som grossers en poder explicar
ço que mereix un bell cos e honest;
jóvens gentils, bons, sabents, l’han request
e, famejants, los cové endurar.
Lo vostre seny fa ço que altre no basta,
que sap regir la molta subtilea.
En fer tot bé, s’adorm en vós perea.
Verge no sou perquè Déu ne volc casta.

Sol per a vós bastà la bona pasta
que Déu retenc per fer singulars dones.
Fetes n’ha assats, molt sàvies e bones,
mas compliment dona Teresa·l tasta,
havent en si tan gran coneiximent
que res no·l fall que tota no·s conega.
A l’hom devot sa bellesa encega;
past d’entenents és son enteniment.

Venecians no han lo regiment
tan pacífic com vostre seny regeix
subtilitats que l’entendre us nodreix
e del cos bell sens colpa·l moviment.
Tan gran delit tot hom entenent ha
e ocupat se troba en vós entendre,
que lo desig del cos no·s pot estendre
a lleig voler, ans com a mort està.

Tornada
Llir entre cards, lo meu poder no fa
tant que pogués fer corona invisible.
Meriu-la vós, car la qui és visible
no·s deu posar lla on miracle està.

Ill.: Agustí Rigalt Cortiella (1846–1898): Ausias March i el príncep de Viana (1852)

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