Hartmut Stenzel, „Hispanistik und Romanistik: Geschichte und Gegenwart. Anlässlich eines Bandes zum 40jährigen Jubiläum des Deutschen Hispanistenverbands“, zur Publikation in Romanische Studien.
Rezension von: Oscar Loureda, Hrsg., La Asociación Alemana de Hispanistas: 1977–2017 (Frankfurt: Vervuert, 2017)
Vorabdruck der Rezension:
Hartmut Stenzel (Gießen)
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Der Deutsche Hispanistenverband (DHV) wurde vor vierzig Jahren gegründet. Das ist kein sonderlich ‚rundes‘ Jubiläum, war aber dem Verband offenbar wichtig genug, sich in einer umfassenden Selbstdarstellung seiner Geschichte zu präsentieren. Ein quasi ‚offizielles‘ Sammelwerk ist so entstanden, herausgegeben vom derzeitigen Vorsitzenden („por encargo de la Asociación Alemana de Hispanistas“, wie ein Zusatz zur Herausgeberangabe unterstreicht) und mit Beiträgen aller noch lebenden bisherigen Vorsitzenden des Verbands (ein graphisch kurios ‚rechteckiges‘ Tableau von deren Abfolge findet sich 17). Von Manfred Tietz bis hin zu Johannes Kabatek stellen diese die wichtigsten Ereignisse, Projekte und Entwicklungen in ihrer jeweiligen Amtszeit dar, wobei Tietz mit vier und Hans-Jörg Neuschäfer mit zwei Beiträgen vertreten sind, weil sie es übernommen haben, die Vorgeschichte der Verbandsgründung (Tietz) sowie die Amtszeiten verstorbener Vorgänger bzw. Nachfolger zu behandeln. Eingeleitet wird diese chronologische Abfolge der Geschichte des Verbands im Rückblick seiner Vorsitzenden von einem programmatische Artikel Louredas („Pasado, presente y futuro de la Asociación Alemana de Hispanistas“), der in diesen vierzig Jahren die Hispanistik als „una disciplina robusta, con raíces hondas y con personalidad propia dentro de la filología romana“ (20) entstehen und sich entwickeln sieht. In diesem Sinn erzählen die Beiträge insgesamt eine kohärente Erfolgsgeschichte, die progressive Konstruktion einer „identidad propia – todavía inconclusa – en el mapa universitario alemán“ (15).
Nun ist eine solche Verbandsgeschichte mit allen Höhepunkten und (fast) ohne Konflikte (außer in den Anfängen) nicht unbedingt eine spannende und auch nur in Maßen eine lehrreiche Lektüre. Ihr Narrativ ist das einer ebenso kontinuierlichen wie unaufhaltsamen Entwicklung, beginnend mit der Emanzipation der Verbandshispanistik von dem lange Zeit von der ‚Frankoromanistik‘ dominierten Romanistenverband (36 ff.). Aus diesen Anfängen entwerfen die Vorsitzenden in chronologischer Reihung die Etappen der Herausbildung einer institutionellen und wissenschaftlichen Autonomie in ihrer jeweiligen Amtszeit. Deren Festigung erfolgte nicht zuletzt durch die Internationalisierung des Verbands und den lateinamerikanischen ‚Turn‘ der Forschung1, vor allem aber durch das Anwachsen des Verbands (von siebzig Mitgliedern bei der Gründung auf aktuell rund 500) sowie durch die Etablierung und den in Teilnehmerzahlen wie im Themenspektrum immens wachsenden Umfang der Hispanistentage (man erfährt, dass es auf dem ersten Hispanistentag 1977 fünf Vorträge gab, 2015 auf dem zwanzigsten hingegen 431 in 20 Sektionen). Hinzu kommt die institutionelle wie finanzielle Unterstützung durch die spanische Botschaft, die schon 1972 ausgewählte Hispanisten zu einer Besprechung über eine Verbandsgründung einlud (also noch zu Zeiten der Diktatur, was aber nicht weiter thematisiert wird). Noch mehr spielt sie bis heute mit ihrer institutionellen Unterstützung und ihren diversen Förderprogrammen eine nicht unerhebliche Rolle für den Erfolg des Verbands (vgl. 40–1, 64–5 124–5 etc.).
Ob für diese Darstellung die Aufzählung aller Sektionen verschiedener Hispanistentage unabdingbar ist (114, 119–20, 138–9 etc. – ein Überblick über diese Tagungen findet sich zudem 24–5), ob es des Abdrucks eines höchst banalen brieflichen Grußwortes des damaligen bayrischen Kultusministers Hans Maier bedarf, um die Gründungsversammlung von 1977 ins rechte Licht zu rücken (52–3), ob manche Anekdote über spanische Gäste auf Hispanistentagen wie etwa die von der missglückten Reise von Miguel Delibes zum Romanistentag 1983 (74–5) vonnöten ist, um die Bedeutung des Verbands so recht zur Geltung zu bringen, über diese und manche andere Elemente der Erzählung mag man geteilter Meinung sein. Jeder Vorsitzende ist natürlich bestrebt, auch seiner möglicherweise relativ ereignisarmen Amtszeit eine Besonderheit zuzuschreiben. Und der Erfolg gibt ihnen allen ja zudem recht: die Verbandsgeschichte ist zugleich die jenes Hispanistik-Booms, der das Fach von seinem bis über die 1970er Jahre hinaus andauernden Mauerblümchendasein2 neben dem in der Romanistik vorherrschenden Bereich des Französischen zu einer gegenüber diesem zumindest gleichrangigen, wo nicht sogar dominanten Position gebracht hat. Für diese Entwicklung sind die vierzig Jahre der Verbandsgeschichte durchaus aufschlussreich, auch wenn die dafür in erster Linie verantwortliche Vervielfältigung hispanistischer Studiengänge und Studierendenzahlen seit den 1980er Jahren, die daraus sich ergebenden Chancen wie Probleme der Lehre meist nur nebenbei thematisiert werden.
Diese Entwicklung ist wohl auch gemeint, wenn Jochen Mecke die „aceleración cada vez mayor del tiempo en el dominio académica“ bemüht, um das Unternehmen der Geschichte eines Verbands zu rechtfertigen, der doch kaum aus der „niñez académica“ herausgetreten sei (185–6). Allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die damit ins Spiel gebrachte „necesidad de conservar la memoria del pasado a fin de garantizar cierta continuidad“ (186) ein ausgesprochen selektives Gedächtnis hervorgebracht hat, das die problematische Geschichte der Hispanistik innerhalb der Romanistik weitgehend ignoriert. Tietz, der die Entwicklung der Hispanistik vor der Verbandsgründung vor allem in Hinblick auf die frühere Dominanz des Französischen in der Romanistik skizziert und damit auch die 1977 erfolgte Abspaltung zum Hispanistenverband legitimiert, kommt zu der angesichts der Vielzahl einschlägiger Studien3 erstaunlichen Behauptung über die Romanistik insgesamt wie die Hispanistik, „que la construcción intelectual de esta disciplina no tenía nada que ver con el nacionalsocialismo“ (35). Deshalb kommen auch für die Vorgeschichte der Verbandsgründung durchaus aufschlussreiche und nicht sonderlich ruhmreiche Elemente der Fachgeschichte erst gar nicht in den Blick.4 Dass in der Nachkriegszeit die Hispanistik lange Zeit eine „‚retaguardia ideológica‘ de los romanistas alemanes“ war, ist ja nicht nur eine „polémica caracterización“, wie Tietz an anderer Stelle schreibt (73), sondern ein wichtiges Element des Konflikts, der zur Abspaltung vom Romanistenverband und der Verbandsgründung führte. Auch in der Nachkriegshispanistik der BRD finden sich durchaus noch Bewunderer der Diktaturen wie des auf der iberischen Halbinsel lange Zeit dominanten Katholizismus5, und es ist ja wohl auch kein Zufall, dass das aufwändigste hispanistische Forschungsprojekt in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik die Edition der Autos sacramentales Calderóns war.6
Welche Bedeutung diese konservativen Traditionen des Fachs in der Entstehung des Verbands hatten, zeigt sich auch daran, dass ein wesentlicher Auslöser der Verbandsgründung die Kontroverse auf dem Heidelberger Romanistentag von 1973 über eine Resolution gegen den chilenischen Militärputsch war (39–40, vgl. auch 45–6). Die Gegner dieser Resolution und einer von ihnen befürchteten (de facto ja höchst bescheidenen) Politisierung des Romanistenverbands zählten denn auch zu den prominentesten Befürwortern der Verbandsgründung. Tietz thematisiert diesen Konflikt, aber mit dem Ziel, seine Bedeutung zu minimieren und als zentrales Motiv der Abspaltung den „deseo de dar un espacio y una relevancia mayor a las lenguas y literaturas del mundo hispánico“ in den Vordergrund zu rücken (49; ähnliche Legitimationsfiguren finden sich wiederholt in den Beiträgen). Nun mag man argumentieren, dass die Konflikte der 1970er Jahre eine Vergangenheit sind, die keine Bedeutung mehr für die institutionellen und wissenschaftspolitischen Positionen der heutigen Hispanistik und ihres Verbands mehr haben – und in vielerlei Hinsicht trifft das ja durchaus auch zu. Ein wenig produktive Verwunderung über die Fortdauer jener Traditionen und ihren tiefgreifenden Wandel in der Hispanistik von den Anfängen des Verbands hin zur Gegenwart wäre aber vielleicht doch wünschenswert gewesen.
Ein anderer Konflikt durchzieht die Darstellungen der Verbandsgeschichte aus durchaus unterschiedlichen Positionen: die Frage des Verhältnisses zwischen der nach Eigenständigkeit strebenden Hispanistik zur Romanistik. Dieser Konflikt hat zunächst natürlich eine verbandspolitische Dimension, betrifft aber auch die ja nur im deutschsprachigen Raum etablierte problematische wissenschaftliche Konstruktion des Fachgebiets der Romanistik. Die dafür grundlegende Einheit der Romania hat ja allenfalls sprachwissenschaftlich noch einen gewissen Erkenntniswert. Sobald sich aber seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts sprach- und literaturwissenschaftliche Forschung eigenständig konstituieren, entsteht eine im Rahmen des für das Fach konstitutiven Gegenstandsbereich unaufhebbare Asymmetrie „zwischen dem sprachhistorisch konstituierten Objektbereich ‚Romanische Philologie‘ und der historischen Eigenständigkeit der einzelnen romanischen Nationalliteraturen.“7 In der Logik der Verbandsgründung, dem etwa von Tietz betonten „ideal de un hispanismo autónomo“ (55), wäre es nur konsequent gewesen, die hybride Fachtradition der Romanistik aufzukündigen, um sich an die immer wieder hervorgehobenen internationale Strukturen einer eigenständigen Hispanistik anzuschließen. Obwohl er an anderer Stelle die Befreiung der Hispanistik aus der „babylonischen Gefangenschaft“ der Romanistik gefeiert hatte8, versichert Tietz hier nun sogleich, dieses Autonomieideal impliziere keineswegs „un cuestionamento radical del concepto científico de la Romanistik por parte de la Asociación“. Und auch Loureda betont in seinem einleitenden Artikel die „visión complementaria“ des Verbands: „ser hispanista no podía significar ser ‚menos romanista’, sino otra forma posible de ser romanista“ (15).
Wissenschaftliche Gründe für diese recht hohl klingenden Kompromissformeln gibt es nicht. Die Fachstrukturen der Romanistik produzieren im Gegensatz zu dem internationalen Standard weiterhin Spezialisten für zumindest zwei Sprachen und Kulturen, jene „hombres orquesta […] a quienes, según parece, se le pide a veces demasiado“, deren Existenz Tietz beklagt (69). Der eigentliche Grund dafür, der in der Verbandsgeschichte nicht zur Sprache kommt (kommen kann), ist die universitäre Stellensituation, die diese Doppelqualifikation zumeist weiterhin verlangt. Hieran etwas zu ändern, brauchte es einen langen Atem, den der Hispanistenverband in seiner bisherigen Geschichte nicht aufbrachte. Stattdessen werden die vielen Kompromissversuche vorgestellt, mit denen er sein Verhältnis zur Romanistik nach und nach geregelt hat: Neuschäfer berichtet etwa von dem gemeinsamen Kongress der romanistischen Verbände in Jena 1997 und der Gründung des Romanistischen Dachverbands (120 ff., zur Auflösung vgl. Johannes Kabatek, 220–1), Wilfried Floeck von seinen Versuchen „[de] restablecer la unidad entre todas disciplinas románicas“ (163, Gründung der AGRom, 173 ff.) etc. Welche Zukunft des Hispanistenverbands aus all dem entstehen wird, ist schwer zu prognostizieren. Warten wir seine nächste Geschichte in vierzig (oder in sechzig?) Jahren ab.
Ill.: Decisive events of the Spanish American Wars of Independence: Cortes de Cádiz (1812) (top left); Congress of Cúcuta (1821) (bottom left); Crossing of the Andes (1817) (bottom right); Battle of Tampico (1829) (top right). (Creative Commons License)