geb. 25. Februar 1929 in Erolzheim bei Biberach an der Riß;
gest. 29. Dezember 2017 in Regensburg
Aus einem Gespräch von Johannes Hösle mit Dieter Lehner in „Forum“ Bayern Alpha, Sendung vom 02.01.2003:
Lehner: Einem Fachpublikum sind Sie dadurch bekannt geworden, dass Sie viele Standardwerke geschrieben haben, vor allem über italienische Literaturgeschichte. Sie haben auch Biografien verfasst z. B. über Molière oder Goldoni. Einem breiten Publikum sind Sie jetzt aber bekannt geworden durch zwei andere Bücher, durch zwei autobiografische Werke, die Ihre Kindheit und Jugend in einem oberschwäbischen Dorf namens Erolzheim beschreiben. Der erste Band “Vor aller Zeit” ist vor zwei Jahren erschienen und nun ganz neu als Taschenbuch aufgelegt worden. Sie beschreiben darin Ihre Erinnerung an Ihre Kindheit in den dreißiger Jahren und enden mit dem Jahr 1940. Der zweite Band, der erst kürzlich erschienen ist, trägt den Titel “Und was wird jetzt?”. Er beschreibt Ihre Jugend bis zum Jahr 1952. Herr Professor Hösle, was treibt denn einen emeritierten Professor, einen weltläufigen Romanisten wie Sie dazu, Kindheits- und Jugenderinnerungen aus der oberschwäbischen Provinz zu verfassen?
Hösle: Das hat auch ein bisschen mit dieser Weltläufigkeit zu tun. Das hat aber auch mit dem Alter zu tun. Man fragt sich nämlich irgendwann, wie man derjenige geworden ist, der man heute ist: Wie hast du, obwohl es dir nicht an der Wiege gesungen wurde, dass du mal Leiter des Goethe-Instituts in Mailand oder Professor in Regensburg wirst, diesen Weg eigentlich zustande gebracht? Da war für mich vor allem in den Mailänder Jahren sehr entscheidend, dass ich in dieser für einen ehemaligen Dorfbewohner bzw. für einen Studenten aus Tübingen – was ja letzten Endes auch nur ein großes geistiges Dorf ist – ungeheuer großen und weltläufigen Stadt nicht auseinander gebrochen bin aufgrund all dieser neuen Anregungen und Eindrücke und vor allem auch professionellen Strapazen. Da muss man sich schon versichern, dass das eigene Ich eine Kohäsion hat. Diese Kohäsion ist eben doch immer wieder der eigenen Kindheit zu verdanken. Somit kann man dieser Gefahr auseinander zu brechen dann schon etwas entgegensetzen.
Aus dem Nachruf von Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung vom 1. Januar 2018:
Es ist gut und vor allem löblich, wenn sich einer sein Leben lang der Literaturgeschichte widmet, namentlich der italienischen, die Studenten also in die Feinheiten der Goldoni’schen Komödien einführt und sie mitnimmt auf Dantes Pilgerfahrt durch Himmel und Hölle, ohne dabei Paveses Schwermut zu vernachlässigen und schon gar nicht das Paar, das sich bei Manzoni so ergreifend versprochen hat. Wenn einer sich dann auch noch in der katalanischen Dichtung auskennt, den Molière nicht aus den Augen verliert und überdies vier Jahre das Goethe-Institut in Mailand geleitet hat, kommt leicht das zusammen, was am Ende als Lebenswerk gerühmt wird. Aber Johannes Hösle, der am vergangenen Freitag im Alter von 88 Jahren in Regensburg gestorben ist, war nicht nur Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der dortigen Universität, sondern hütete einen literarischen Schatz, den er erst nach seiner Emeritierung freigab: seine eigene Kindheit.
Ill: Johannes Hösle (visat.cat) Buchabbildung: Johannes Hösle, Molière.