Anna Isabell Wörsdörfer, „Magische Künste, künstlerische Magie oder Alles eine Frage des Blickwinkels: Spielarten der frühneuzeitlichen Illusionsbildung und -deutung“, erscheint in Romanische Studien, Vorabdruck.
Rezension von: Kirsten Dickhaut in Zusammenarbeit mit Irene Herzog, Hrsg., Kunst der Täuschung – Art of Deception: über Status und Bedeutung von ästhetischer und dämonischer Illusion in der Frühen Neuzeit (1400–1700) in Italien und Frankreich (Wiesbaden: Harrassowitz, 2016), 441 S.
Vorabdruck der Rezension
Anna Isabell Wörsdörfer (Gießen)
Kirsten Dickhaut in Zusammenarbeit mit Irene Herzog, Hrsg., Kunst der Täuschung – Art of Deception: über Status und Bedeutung von ästhetischer und dämonischer Illusion in der Frühen Neuzeit (1400–1700) in Italien und Frankreich (Wiesbaden: Harrassowitz, 2016), 441 S.
Discretio spirituum, trompe l’œil und sfumatura, Rollentausch und Maskenspiel – die illusionäre und illusorische Wahrnehmung avanciert in der Frühen Neuzeit zu einem vieldiskutierten anthropologischen Grundproblem, das theologische, dämonologische, medizinische, philosophische, bildkünstlerische und nicht zuletzt literarische, insbesondere theatrale, Diskurse ergreift, deren Ergründung sich der Sammelband der Stuttgarter Romanistin Kirsten Dickhaut zur Aufgabe gemacht hat. Hervorgegangen sind die darin vereinten Beiträge mehrheitlich aus einer internationalen und interdisziplinären Tagung an der Karl-Franzens-Universität in Graz vom 3. bis 6. Dezember 2014, die durch zwei Wiederabdrucke der bereits vielbeachteten Artikel des Historikers Stuart Clark und des Kunsthistorikers Michael Cole ergänzt werden. Aufgrund des fundamentalen Stellenwerts der Illusion im frühneuzeitlichen Denken, in dem das Leben in barocker Manier bekanntlich mitunter als Traum erscheint, stellt es eine äußerst verdienstvolle Unternehmung dar, das Funktionieren und den Wandel von (Sinnes-)Täuschungen in ihren mannigfaltigen magischen und ästhetischen Ausprägungen über einen längeren Zeitraum von gut 300 Jahren hinweg zu untersuchen, sodass der vorliegende Band mit Fokus auf dem französischen und italienischen Sprachraum wichtige Schlaglichter auf eine noch zu schreibende Geschichte der Illusionen zu werfen vermag. Dabei gelingt es der Herausgeberin durch die Zusammenstellung von Analysen zu fiktionalen und nichtfiktionalen Texten und Kontexten, einen überzeugenden kulturwissenschaftlichen und -historischen Bogen etwa von scholastischen, jesuitischen und dämonologischen Positionen über Meisterwerke der illusionistischen Künste, v. a. der Malerei, bis hin zu Beispielen des frühneuzeitlichen äußerst magiereichen Theaters zu spannen.
Die versammelten Beiträge sind in fünf Rubriken aus je zwei bis fünf Einzelanalysen eingeteilt: erstens „Historische und epistemologische Grundlagen der dämonischen und ästhetischen Illusion“, zweitens „Illusionary arts – illusionistische Künste“ (wobei unklar bleibt, weshalb die Überschrift hier einmalig zusätzlich ins Englische übersetzt ist bzw. dies bei den anderen Betitelungen nicht geschieht), drittens „Innere Bilder und getäuschte Wahrnehmung“, viertens „Theater um dämonische Illusionen“ und fünftens „Magische Illusion als Fiktion“. Fehlt eine Einleitung im engeren Sinne, wird diese durch den ersten Beitrag von Kirsten Dickhaut mit überblickshaft hinführendem Charakter teilweise ersetzt. Jedoch ergeben sich aufgrund dieses Fehlens einige Fragen zur Gliederung und Auswahl der Artikel. Zum einen erscheint die Aufteilung der in der vierten und fünften Kategorie eingeordneten Artikel auf den ersten Blick als willkürlich bzw. widersprüchlich: So wird etwa die Untersuchung von Wolf-Dietrich Löhr zur narrativen Inszenierung bildkünstlerischer, performativer und – gleichwohl auch – theatraler Täuschung in Chronik und Novelle in der Gruppe „Theater um dämonische Illusionen“ integriert, nicht aber die Beiträge von Jörn Steigerwald und Werner Wolf, die sich ganz explizit mit Theaterstücken auseinandersetzen und stattdessen aber allgemeiner unter der Überschrift „Magische Illusionen als Fiktion“ erscheinen. Dabei spielt in beiden Interpretationen nicht nur das Verhältnis von magisch-realen und literarischen Illusionsformen, sondern gerade auch die Theatralität und das performative Moment eine Rolle, so etwa bei Wolf in der vier Ebenen umfassenden Theater-im-Theater-Situation und bei Steigerwald in Bezug auf den Diener als Bühnenimpressario [sic!], was eine Zuordnung zur vorgenannten Kategorie mehr als gerechtfertigt hätte. Zum anderen stellt sich – in Sammelwerken immer ein schwieriges Unterfangen – das Problem des Zusammenspiels von thematischer Kohärenz und exhaustiver Behandlung, das im vorliegenden Band mit der schwerpunktmäßigen Setzung französischer und italienischer Fallstudien grundsätzlich gut gelöst ist. Nichtsdestotrotz vermisst man im dämonologischen Bereich eine über die gelegentliche Nennung hinausgehende Einzelstudie zum Malleus maleficarum, dessen maßgebliche Breitenwirkung – trotz einiger jüngerer Relativierungen – ob seiner deutschen Urheberschaft auch für die Romania kaum zu überschätzen ist.[1] Im literarischen Bereich hätte ein Seitenblick auf die ausgeprägte Verarbeitung magischer Stoffe und Motive auf der iberischen Halbinsel[2] die Betrachtung romanischer Illusionsbeschäftigung sicher abgerundet, zumal mit einzelnen über den abgesteckten französisch-italienischen Untersuchungsraum hinausgehenden Analysen – wie etwa zum Faustbuch, zu Reginald Scot und Johann Weyer (Wier) – die nördlichen Ränder den gezogenen Rahmen überschreitend integriert sind. Diese kleineren Kritikpunkte können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sammelband eine bis dato ungekannte Zusammenschau der multiperspektivischen und oftmals kontroversen Ansätze der Frühen Neuzeit im Hinblick auf die Illusionsbeschäftigung liefert.
Die Rubrik „Historische und epistemologische Grundlagen der dämonischen und ästhetischen Illusion“ eröffnet Kirsten Dickhaut[3] mit einem Panorama frühneuzeitlicher Täuschungsformen, verstanden als Resultate grundlegender Wahrnehmungsproblematiken zwischen den Phänomenen des Dämonischen und der Perspektive. Essentiell ist die Einsicht in die Relativität und epistemologische Veränderlichkeit von Illusionen, die – anders als heute im Kontext von Psychologie und Neurobiologie – in der Frühen Neuzeit auf Basis von Theologie und Humoralmedizin ausgelegt werden. Die vielfältigen Interferenzen magischer Praxis und künstlerischer Verarbeitung lässt Dickhaut von der (ernsten) erkenntnistheoretischen Kernfrage der Identifizierung dämonischer Aktivitäten bis zur (komischen) Zurückdrängung des Teufels auf – und abseits – der Bühne zugunsten der ästhetischen Illusion mit prägnant ausgewählten Beispielen anklingen. Andreas Kablitz unternimmt in seinem diachron operierenden Beitrag[4] den „Versuch[…], die longue durée des Verhältnisses von Magie und Vernunft in den Blick zu nehmen“ und geht dabei von der These „einer strukturellen Schwäche des Rationalismus gegenüber der Magie“ (29) aus. Nach der eröffnenden Deutung von Goethes Faust im Sinne einer Aufklärungskritik mittels der Hauptfigur des rinascimentalen Magiers, verfolgt der Kölner Romanist anhand von Dantes Fortuna-Entwurf in der Divina Commedia, Augustinus’ und Thomas von Aquins Wunderkonzepten (ersteres im Vergleich zu Kants Epistemologie) sowie Wittgensteins Rationalismus-Modell und Thomas Manns Relativierung im Zauberberg, in überzeugender Weise die dem christlichen Denken seit dem Schöpfungsbericht inhärente Konkurrenzbeziehung zwischen Magie und Ratio (Logos).
Stuart Clarks grundlegende Studie[5] zur optischen Dimension der Magie stellt den Einstieg in die Rubrik „Illusionary arts – illusionistische Künste“ dar. Unter Rekurs auf gelehrte Diskurse aus Mittelalter und Früher Neuzeit führt er zuerst in die visuelle Illusionskontroverse zwischen den beiden Deutungspolen der Realität der Erscheinung oder der Bindung der Pupille ein. Das Kernstück seiner Ausführungen bildet sodann die Untersuchung der Affinitäten zwischen perspektivischer Kunst und Magie: Repräsentiert jede malerische Darstellung einer dreidimensionalen Form auf einer zweidimensionalen Fläche bereits eine optische Täuschung im weiteren Sinne, bringt die Anamorphose, die nur aus einer bestimmten Perspektive betrachtet ein Bild ergibt, eine illusionistische ‚Vision‘ in Reinform zum Vorschein, die, wie Clark zeigt, v. a. auch in der religiösen Malerei – zur Unterstreichung des Wunderbaren in der göttlichen Schöpfung – eingesetzt worden ist. Als weiteres Beispiel optischer Illusionskunst diskutiert er ausführlich die ‚magischen‘ Konstrukte Athanasius Kirchers, wie z. B. die camera obscura, die er im Collegium Romanum vorführte und deren Funktionsweisen er im Anschluss erklärte. Auch Michael Cole[6] untersucht die Verbindungen zwischen Magie und Visualität, genauer Bildender Kunst, und arbeitet die Analogien zwischen Maler und Magier bzw. Medium heraus, wobei insbesondere die Inspiration in den Fokus rückt: Nicht nur ist der Künstler topisch über die Phantasie mit dem Element Luft verbunden, sondern ebenso auch die Dämonen oder Geister, deren materialisierter Leib gemeinhin als Luftkörper imaginiert wird, sodass bildkünstlerische Darstellungen eines Windhauchs, eines Nebels etc. folglich beide Phänomene symbolisieren können: „Sfumatura, as air, can, like the grotesque, depict the spiritually charged fantasia, or it can, like a demon, carry out its own meteorological operations“ (157). Die Betrachtung der illusionistischen Künste schließt mit einem Beitrag von Thibaut Maus de Rolley[7] über die Beurteilung von (Jahrmarkts-)Gauklern im dämonologischen Schrifttum der Zeit ab. Da die Täuschung zum ureigenen Repertoire des Teufels zählt, geraten Jongleurs und Akrobaten mit ihren illusionistischen Unterhaltungskünsten schnell unter Magieverdacht. Wie der Autor stringent anhand zeitgenössischer Hexentraktate darlegt, teilen sich die Gelehrten in zwei opponierende Lager, von denen das eine, u. a. vertreten durch Jean Bodin, bateleur und Schwarzmagier gleichsetzt und das andere, z. B. mit Johann Weyer als Sprachrohr, den teuflischen Einfluss ausschließt und die Mechanismen hinter den Jahrmarktstricks aufdeckt. Weitergedacht wird die naturalistische These etwa von Reginald Scot, der die Hexen als geschickte Gaukler entmythifiziert und das Modell des batelage nutzt, um damit das Wirken des Teufels zu erklären.
In der Rubrik „Innere Bilder und getäuschte Wahrnehmung“ beschäftigt sich Karlheinz Ruhstorfer[8] mit der Unterscheidung der Geister in Ignatius von Loyolas Ejercicios espirituales. Der Theologe stellt fest, dass beim Begründer des Jesuitenordens die Substanz von bösen und guten Geistern, verstanden als Dämonen und Engel, zurücktritt und diese stattdessen für innere Regungen, also etwa Depression und Hochgefühl, stehen. Ferner zeichnet er die systematische Gewissenserforschung innerhalb der vierwöchigen Übungen einleuchtend nach, die von der geistigen Reinigung über die Beschäftigung mit Jesu Leben, Leiden, Tod und Auferstehung idealerweise zur radikalen Entscheidung für die Nachfolge Christi führen soll. Komplementär dazu beleuchtet John D. Lyons in seinem Beitrag[9] die Funktion der Illusion in der christlichen Philosophie Blaise Pascals, indem er die Radikalität von dessen Vorstellungen gegenüber den Ideen seiner Vorgänger, v. a. Descartes, unterstreicht. Weist dieser jegliche Täuschungsabsicht von einem als perfekt gedachten göttlichen Wesen ab (und dessen Gegenspieler, einem mauvais génie, zu), entwirft Pascal in seinen als Apologie der christlichen Religion angelegten Pensées die Illusion als gewollte Täuschung eines ‚verborgenen Gottes‘, mit der dieser die Exklusivität der göttlichen Erkenntnis für eine kleine elitäre Gruppe sicherstellt. Lyons kann plausibel darlegen, dass Pascals Konzept eines Deus abscondidus insbesondere darauf angelegt ist, die der Religion skeptisch gegenüberstehenden Freidenker, die in ähnlicher Weise, d. h. verdeckt, handeln müssen, zum Glauben zu führen. Jean-Pierre Cavaillé komplettiert die Rubrik mit einer erkenntnisreichen Analyse[10] kontroverser Äußerungen über die Realität des Phänomens der dämonischen Besessenheit. Die Positionen in Bezug auf die plötzliche Kenntnis fremder Sprachen seitens der ‚Besessenen‘ teilen sich in jene der Skeptiker auf der einen Seite, häufig Ärzte, die entweder natürliche Ursachen (die Bewegung der Säfte) oder den Klerus als Drahtzieher – zur religiösen Festigung eines allzu leichtgläubigen Publikums – dahinter vermuten, und in diejenigen der Dämonologen, wie z. B. Bodin, auf der anderen Seite, die von der Präsenz des Teufels überzeugt sind. Anhand vieler Fallbeispiele – so etwa desjenigen des „théâtre de Loudun“ (245) – deutet Cavaillé bereits die Nähe des exorzistischen ‚Schauspiels‘ zum Theater an.
François Lecercles Betrachtung zweier gegenläufiger Prozesse, der Entmythifizierung der Magie und der Diabolisierung des Theaters, leitet die Rubrik „Theater um dämonische Illusionen“ ein: Während die Magie in Traktaten von Jean Bodin bis Reginald Scot ihre bedrohliche Aura verliert und im Kampf gegen den Aberglauben in ihren Funktionsweisen entlarvt wird, findet in Theaterpamphleten um 1600 unter Rückgriff auf die Patristik eine negative Aufladung des Theaters als Sinnlichkeit zelebrierende und gefährliche Leidenschaften hervorrufende Einrichtung im Kontext des Teuflischen statt. In einer stichhaltigen Argumentation führt der Pariser Komparatist diese Entwicklung auf die wachsende Bedeutung des Theaters im städtischen Bereich und die damit verbundene Alarmierung v. a. protestantisch orientierter Kirchenvertreter zurück, welche den Streit gleichzeitig in antipapistischer Haltung nutzen, um gegen den theatralen Pomp in der katholischen Kirche zu polemisieren. Wolf-Dietrich Löhr legt in seinem Artikel[11] insbesondere an zwei Novellen Boccaccios präzise offen, „mit welchen Verfahren die Texte ihre eigene Kunst der Überzeugung und Täuschung durch unmittelbare und implizite Referenzen auf visuelle Kunstwerke verschiedener Art, auf körperliche und malerische Kontrafakturen stützen“ (273). So identifiziert er beispielsweise im Vorspiel eines falschen Engels durch einen lüsternen Geistlichen (VI, 2) Reminiszenzen an das religiöse Theater in Florenz und das venezianische Marienfest und in der Vorspiegelung eines Dämonenpakts zweier Künstler (VIII, 9) eine multimediale Strategie der Täuschung vom Schauspiel bis zur Malerei. Kirsten Dickhauts zweiter Beitrag[12] hat Niccolò Machiavellis Komödie Mandragola zum Gegenstand, anhand der sie die frühneuzeitliche Logik hinter dem magischen Erklärungsmodell identifiziert und dergestalt die historische Semantik des inganno herausarbeitet. Mit zahlreichen Erläuterungen zu zeitgenössischen Glaubensvorstellungen und -praktiken zeichnet sie einleuchtend nach, wie zur Heilung der Liebeskrankheit, verstanden als von dämonischem Einfluss herrührendes Phänomen, ein betrügerisches Spiel mit einer Alraune inszeniert wird, deren magische Wirkung gleichwohl nicht in Frage gestellt ist. Unter Verweis auf die Aufführungssituation auf der Bühne kommt sie so zu dem Schluss: „Das doppelte Kommunikationssystem der Komödie zeigt beides zugleich, das anthropologische Modell und seine ironische Ausbeutung“ (321).
In der letzten Rubrik „Magische Illusion als Fiktion“ macht Susanne Goumegou[13] den Anfang mit einer Untersuchung zur visuellen Wahrnehmungstäuschung in Ariosts Orlando furioso, indem sie zwei Illusionen des Magiers Atlante, das Stahlschloss und den palazzo incantato, aus dem romanzo-Teil des Werks in den Fokus stellt. Diese im Kontext der maraviglia-Ästhetik verortend, stellt Goumegou die illusionären Erscheinungen schlüssig zwischen trügerischem Sehen und blindem Begehren heraus, die also einerseits als magischer Augentrug explizit in Abhängigkeit vom Sehen und andererseits als anthropologisches datum, d. h. als Allegorie auf das menschliche Verfangensein in Wunschvorstellungen, präsentiert werden. Jörn Steigerwald widmet seinen Beitrag[14] der commedia erudita La Calandria und verfolgt darin die These, „dass die Illusion in Bibbienas Komödie als ein Produkt der Künste der Täuschung fungiert, die durch das Zusammenspiel von Zauberei, d. h. ‚incanto‘, Magie, d. h. ‚magia‘, wenn nicht ‚demonologia‘, und Täuschung bzw. Betrug, d. h. ‚inganno‘, hervorgebracht wird“ (351). Überzeugend kann er etwa an Beispielen der Polysemie und der daraus resultierenden syndekdochialen Verbindung der diversen Illusionsformen darlegen, dass es sich in dem Stück bei der Kunst der Täuschung um einen Kollektivsingular handelt, bei dem Rollen- und Geschlechtertausch, der Tausch von Geld und Magie sowie die Täuschung als Betrug ineinander verlaufen und nur gemeinsam das Gesamtbild ergeben. Jörg Robert wirft in seinem Artikel[15] einen komplementären Blick auf die „Medien der Dämonie [… und die] Dämonie der Medien“ (377) in der anonymen Historia von D. Johann Fausten. Wird Faust ein Opfer der Illusionsmedien des Teufels, setzt er diese in Form des dreidimensionalen Helena-Hologramms selbst ein, anhand dessen der Tübinger Germanist den protestantischen Medienstandpunkt des Textes aufdeckt, wobei sich die Bilderkritik mit Humanismuskritik (Beschwörung der Antike) paart. Weiterhin gelingt ihm der Nachweis, dass sich die Reflexion über das täuschende Wesen der Kunst unter Rekurrenz auf den Maler Lucas Cranach d. Ä. und dessen Werkstatt vollzieht. Werner Wolf[16] analysiert Pierre Corneilles Komödie L’illusion comique vor dem Hintergrund ihrer Scharnierposition zwischen einem archaisch-magischen Illusionskonzept und dem entstehenden einer ästhetisch-immersiven Erfahrung. Etwa aufgrund der Korrespondenz von Spielort und Theatersituation der Zuschauer liest er das Stück als metareferenzielle Schulung des Publikums im neuen Konzept der ästhetischen Illusion. Dabei deckt er den epistemischen Wandel, nämlich die Abkehr von der diabolischen Illusionsdeutung bzw. ihrer Wendung ins Ästhetische, plausibel auf: „Das Theatrale der Magie ist deren bloßgelegte Inszeniertheit; das Magische des Theaters ist seine ästhetisch illusionistische Wirkung“ (413). Der abschließende Beitrag von Marian Hobson[17] zeichnet den Ablösungsprozess der rationalen und sozialen (klassizistischen) Kategorie der vraisemblance durch das moderne und subjektive Konzept der illusion in der Kunsttheorie nach. Wie sie anhand von Marmontels Artikel im Supplément à l’Encyclopédie zeigt, ist ‚illusion‘ Ende des 18. Jahrhunderts vollends als ästhetischer Terminus etabliert. Dessen vorausgehende stufenweise Entwicklung erörtert Hobson exemplarisch an den Werken des Abbé d’Aubignac, in denen eine Tendenz fort vom Magie-Aberglauben hin zum distanziert-bewussten Glauben innerhalb einer Theatervorführung zu konstatieren ist. Die Bedeutung der Illusion für Diderots Ästhetik herausstellend, räumt sie ein, dass das Konzept während deren allmählicher Rezeption Anfang des 19. Jahrhunderts allerdings ästhetisch schon keine Rolle mehr spielt.
Im Anschluss an die Beiträge befindet sich ein nützliches Personenregister, das es ermöglicht, gezielt nach erwähnten historischen Persönlichkeiten zu suchen und ebenso Überschneidungen zwischen Einzelstudien zu finden. Bilanzierend lässt sich festhalten, dass dieser profunde Sammelband einen in gleicher Weise umfassenden wie detaillierten Einblick in die frühneuzeitliche Illusionsbildung und -deutung eröffnet, der allen kulturwissenschaftlich ausgerichteten HistorikerInnen, Medien-, Kunst- und LiteraturwissenschaftlerInnen wärmstens zu empfehlen ist.
Ill.: Ceiling painting by Andrea Mantegna in the Camera degli Sposi, Castello S. Georgia