Vergangenheitsbewältigung in unruhigen Zeiten

Figuren der Französischen Revolution (1793/94–99) im nationalen Gedächtnis Frankreichs

Hrsg. von Kirsten von Hagen und Anna Isabell Wörsdörfer

Sektionsband in Vorbereitung: Romanische Studien: Beihefte (München: Akademische Verlagsgemeinschaft München, 2019)

Vorgesehene Beiträge (Arbeitstitel)

Call for Abstracts

Die Französische Revolution als epochaler Einschnitt mit tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen stellt sich – jenseits der legislativen Forderungen und Umsetzungen einer geistigen Elite – in ihren konkreten Manifestationen auf den Straßen von Paris und in der Provinz als ganz entscheidend von aggressiven physischen Auseinandersetzungen geprägtes Ereignis dar. Mit dem ‚Krisenjahr‘ 1793/94 tritt das Revolutionsgeschehen in eine neue (Bürger-)Kriegsphase ein, insofern als die Grande Terreur die innerfranzösischen Konflikte mit massenhaften Guillotinierungen auf eine neue Eskalationsstufe hebt. Diese und andere alltäglich gewordenen Gewaltexzesse haben Spuren im kollektiven – kommunikativen wie kulturellen – Gedächtnis Frankreichs hinterlassen (Halbwachs 1950, Assmann 1992), welche durch die Literatur einerseits noch in der Revolution selbst und andererseits gerade auch in erneuten Phasen der Unsicherheit (wie dem gesamten 19. Jahrhundert mit schnell wechselnden Staats- und Regierungsformen unterschiedlichster politischer Couleur und dem 20. Jahrhundert der Weltkriege) über die literarisch-produktive Rezeption eine Aufarbeitung erfahren.

Unter einer erinnerungskulturwissenschaftlichen Perspektive (Erll 2004), die nicht das Statisch-Einheitliche, sondern v. a. das Prozesshafte und die Pluralität der literarisch-kommemorativen Beschäftigung in den Blick zu nehmen vermag, will sich die Sektion mit verschiedenen Bewältigungsversuchen der revolutionären Vergangenheit in und um Kriegs- und Krisenzeiten auseinandersetzen, wobei diese Angebote ihrerseits unter den einzelnen Erinnerungsgemeinschaften erhebliches Konfliktpotenzial besitzen. Die unter dem Motto „Die Literatur in der Revolution – die Revolution in der Literatur“ stehenden Vorträge eröffnen so die Sicht zum einen auf unmittelbare Reaktionen (z. B. Vaudeville und politische Rede als tagesaktuelle Erinnerungsgattungen), zum anderen auf kontroverse Auseinandersetzungen aus der Distanz (diachron: Erinnerungskonjunkturen während Kriegen und Krisen, synchron: ideologisch gefärbte Erinnerungskonkurrenzen). Dabei sollen jene aus dem revolutionären Kriegschaos ‚herausragenden‘ Gruppierungen wie auch Einzelfiguren in ihren jeweiligen Konstellationen im Mittelpunkt der Analyse stehen, welchen – als gemeinsames Merkmal – allesamt Blut an den Händen klebt und die – als unterscheidendes Merkmal – ganz unterschiedliche Positionen innerhalb der Hoch- und Endphase der Revolution vertreten. Untersuchungsgegenstände (nicht exhaustiv und als Anregung verstanden) können beispielsweise sein:

In einer von den Individuen abstrahierenden Perspektive sollen darüber hinaus auch Überlegungen zu den allgemein(-gültig)en Mechanismen revolutionärer Umbrüche angeregt werden, die insbesondere im jeweiligen Rezeptionskontext der eigenen Kriegs- und Krisenzeit als Ausdruck erinnerungskultureller Prozesse affirmativer oder ablehnender Natur auszudeuten sind.

 

Ill.: Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuple (1830), Louvre

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