Mafia als TV-Serie
„Perché sono tutti cattivi“: Strategien der Anziehung und Abstoßung in Gomorra – La serie von Tanja Weber, in Heft 2 der Romanischen Studien
Die italienische Mafiaserie ‚Gomorrha‘ liefert in grandiosen Bildern Innenansichten der neapolitanischen Verbrechensorganisation Camorra. Die Erzählung um einen aufstrebenden Mafiasoldaten zeigt uns in Deutschland, dass herausragendes europäisches Fernsehen möglich ist. (Axel Schmitt: serienjunkies.de)
Auszug aus dem Artikel von Tanja Weber:
Die Serie basiert auf dem 2006 bei Mondadori publizierten und mit Preisen überschütteten Reportage-Roman Gomorra: Viaggio nell’impero economico e nel sogno di dominio della camorra von Roberto Saviano, der ebenfalls ein Bestseller ist und weltweit gelesen wird. Außerdem wurde 2008 der gleichnamige Film unter der Regie von Matteo Garrone realisiert, ebenso hochgelobt und preisgekrönt. Zum Universum von Gomorra gehört noch ein Theaterstück von 2007 von Mario Gelardi, das hier allerdings vernachlässigt wird. In all diesen Produktionen wird Roberto Saviano als Creator angegeben. Saviano als der Mafiaexperte übernimmt die Funktion des Auteurs, der mit seinem Namen für Qualität bürgt und die Produktionen unterscheidbar von anderen Produktionen macht, die sich auch mit dem organisierten Verbrechen auseinandersetzen. Er fungiert damit als Autor-Brand. Während Saviano als übergeordnete Instanz fungiert, die das Universum von Gomorra mit seinem Namen zusammenhält, werden im Hinblick auf die Serie der Artistic Director Sollima für die Ästhetik und Autor Stefano Bises für das Drehbuch als Verantwortliche angesehen.
Im Folgenden sollen die Charakteristika der Serie Gomorra herausgearbeitet werden. Die Serie ist Teil der Storyworld von Gomorra und damit ein transmediales Phänomen. Die drei Texte stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander. Hierbei werden vor allem das Setting, die Kultur des Wegsehens, der Einsatz von lokalisierter Sprache und die Ästhetik eines Noir-Stils diskutiert. Außerdem erzählt die Serie, wie sich die Camorra seit Buch und Film weiter entwickelt hat. Auffällig sind diesem Zusammenhang die Auto- und Motorradfahrten, welche die Serie charakterisieren und Bezüge zum Buch, aber auch zu kinematographischen Verfahrensweisen und anderen Medien aufweisen.
Die Serie reiht sich ein in die Tradition der Sky-Serien. Gomorra – La serie ist die dritte Eigenproduktion des italienischen Pay-TV-Senders Sky, der sich mit der Serie als Sender innerhalb der italienischen Fernsehlandschaft positioniert und von den öffentlich-rechtlich organisierten Sendern der RAI wie auch den italienischen Privatsendern absetzt.
Die Serie weist eine außergewöhnliche Figurenzeichnung auf. Neben den Rhythmen der Bildschirmpräsenz und der Figurenentwicklung, ist vor allem die Figur Genny interessant, weil sie eine Charaktertransformation vollzieht, die für Fernsehserien ungewöhnlich ist. Fernsehserien versuchen im Allgemeinen, interessante Figuren zu schaffen, mit denen die Zuschauer eine parasoziale Beziehung eingehen können. Auch in Bezug auf diesen Aspekt unterscheidet sich Gomorra – La serie, denn hier werden Strategien eingesetzt, die gezielt die Empathie der Zuschauer mit den Figuren unterlaufen. Weil die Serie auf der anderen Seite einen Anreiz zum Weiterschauen liefern muss, offeriert sie auf sehr verschiedenen Ebenen Anknüpfungspunkte für Engagement und lädt damit zu einem komplexen Spiel der Anziehung und Abstoßung ein.
[Fortsetzung in Heft 2 der Romanischen Studien]
Ill.: Alberto: Saviano vede dove gli altri non vedono