Das Verschwinden des Mittelbaus

Notizen

Stephanie Metzger, „Das Verschwinden des Mittelbaus“, SWR2 Essay

Dem akademischen Mittelbau geht es nicht gut. Zwischen befristeten Verträgen und der Lust auf kreative Forschung, zwischen Anbiederung an Förderinstitutionen und dem Glauben an kritisches Denken, zwischen unzumutbaren Honoraren und engagierter Lehre kämpft der heutige Nachwuchswissenschaftler um sein Überleben. Seit den Reformprozessen der Universitäten scheint aus den Sphären des freien Denkens und Forschens ein Ort der Bürokratie, Evaluation und Ökonomie geworden zu sein. Erstes Opfer: der Mittelbau, der sich Jahre lang selbst ausbeutet, dann um rare Professuren kämpft, ins Ausland wechselt oder der Uni ganz den Rücken kehrt.
In Zeiten antiintellektueller Ressentiments muss dringlicher denn je gefragt werden: Was geht mit dem Mittelbau wirklich verloren? Und ist sein Verschwinden nicht eventuell auch Symptom eines größeren Verlusts, nicht nur an Universitäten?

Aus dem Manuskript:

Zitator: Eine verwandelte Universität könnte sich die Ethik des Wissens, die jetzt als „antiakademisch“ gilt, durchaus zu Eigen machen, sodass sie schließlich zu einer „akademischen“ würde.

Stimme 1: Das ist ein Antiakademismus zweiter Stufe, mit dem der Mittelbau, die Universität, überhaupt erst zu sich kommt.

Stimme 2: Und zwar nicht in Form des Ausscheidens aus den Universitäten, wie es Teile der Studentenbewegten vorlebten oder wozu historische Vorbilder inspirieren könnten – Akademieflüchtlinge und -skeptiker wie Walter Benjamin, Pierre Bourdieu, Jaques Derrida. Auch nicht in Gestalt des Intellektuellen, der auf allen andere Plattformen als der akademischen sein Wissen, seine Expertise oder einfach nur seine Meinung teilt.

Stimme 1: Eher schon in Form eines lustvollen Außenseitertums, wie es Armen Avanessian in seiner Poetik der Existenz vorschlägt. Wenn er dem akademischen Wahrheitssucher empfiehlt, durch Provokation, Witz und Selbstüberschreitung Grenzen zu sprengen, die Räume der Wahrheitssuche und der Wissenszirkulation zu öffnen. Zwischen Akademien und Theatern zu wandern. Neue Seminarformate zu entwickeln, Summer Schools mit Künstlern zu organisieren oder mit Verlagen zusammenzuarbeiten. Und beim Schreiben „den Akademiker fröhlich aus sich herauszuschreiben“.

Stimme 2: Alles naheliegende, auch respektable Ansätze. Dennoch könnte die echte, radikale Geste darin bestehen, den Konflikt in die Unis hinein zu tragen. Der Ethik des Wissens, dem Begehren des Wissen-Wollens, der Pluralität von Denk- und Schreibweisen an der Universität Raum zu verschaffen. Diesen Raum zu erkämpfen und dagegen anzugehen, dass ihm mit Kennzahlensystemen, selbstreproduzierenden Peer-Review-Verfahren oder zeitlichen Auflagen der Garaus gemacht wird. Dieser Raum wäre dann die „unbedingte Universität“, die Jaques Derrida angerufen hat:

Zitator: Nichts anderes ist es, was wir, um uns auf sie zu berufen und zu ihr aufzurufen, unbedingte Universität nennen oder bei diesem Namen rufen könnten: Das Recht, alles zu sagen, und sei es auch im Zeichen der Fiktion und der Erprobung des Wissens; und das Recht, es öffentlich zu sagen, es zu veröffentlichen.

 

Ill.: Tiphaine Rivière, Mathilde Ramadier (Übersetzung), STUDIERST DU NOCH ODER LEBST DU SCHON? Graphic Novel, Knaus 2016, Originalsprache: Französisch

 

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