Villa Vigoni: 30 Jahre

Beiträge, Italienisch

Immacolata Amodeo, „30 Jahre Villa Vigoni: ein deutsch-italienisches Haus für ein Europa im Wandel“, Vorabdruck des Textes für Romanische Studien 6 (2016)

 

30 Jahre Villa Vigoni

Ein deutsch-italienisches Haus für ein Europa im Wandel

Immacolata Amodeo
(Loveno di Menaggio, Villa Vigoni)

 

1. Geschichte

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Porträtbüste Heinrich Mylius, Naturmuseum Senckenberg, Frankfurt am Main

Gute Beziehungen zwischen Institutionen oder sogar Nationen sind oft der Initiative und dem Engagement einzelner Persönlichkeiten zu verdanken. Dreißig Jahre nach der Gründung der Villa Vigoni als Ort deutsch-italienischen Austauschs und der europäischen Zusammenarbeit ist an die interkulturelle Vermittlerrolle von Heinrich Mylius (geb. 1769 in Frankfurt am Main, gestorben 1854 in Mailand) zu erinnern.1 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwarb Heinrich Mylius für sich und seine Familie als Sommerhaus eine Villa am Comer See – die jetzige Villa Mylius-Vigoni. Die Villa Mylius-Vigoni steht auch für die deutsche Italien-Sehnsucht.2 Gegenläufig zum damaligen Trend wählte Heinrich Mylius nicht eine Villa direkt am Seeufer, sondern er entschied sich für ein Gebäude, das sich auf einem Hügel befindet; er entschied sich für diese Villa wegen der besonderen Perspektive, des malerischen Blicks auf den See und die ihn säumenden Berge. Der Park der Villa und die umgebende Landschaft erscheinen wie eine Theaterkulisse. Von der Villa Vigoni aus kann man einen der schönsten Ausblicke auf den Comer See genießen: Man schaut vom Westtufer des Sees direkt auf die Halbinsel Bellagio, auf die am Ostufer gelegenen Orte wie z.B. Varenna und auf die eleganten Villen, die den See säumen. Heinrich Mylius war ein deutsch-italienischer „Global Player“. Als Kaufmann, Unternehmer, Bankier und Mäzen hat er auch das kulturelle Leben und die Bildungslandschaft seiner Zeit aktiv mitgestaltet.3 Mylius war ein Migrant: Er zog mit seiner Familie von Frankfurt am Main nach Mailand, wo er extrem erfolgreich war.4 Perfekt integriert, identifizierte er sich so sehr mit der italienischen Kultur, dass er nicht mehr als „Heinrich“, sondern „Enrico“ firmierte. Zugleich hielt er seine Beziehungen nach Deutschland aufrecht. Zu seinem Netzwerk gehörten Persönlichkeiten aus dem politischen Leben, wie Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, dem er regelmäßig dessen Lieblings-Makkaroni-Sorte schickte, ebenso wie Künstler, Musiker, Philosophen und Literaten in Frankfurt oder Weimar.5 Diese versorgte er mit den neuesten italienischen Publikationen oder unterstützte sie beim Regeln ihrer finanziellen Angelegenheiten.6 Anhand des folgenden Zitates aus einem Brief von Heinrich Mylius vom 14. März 1821 lässt sich dieser Teil der Vorgeschichte der Villa Vigoni illustrieren:

Durchlauchtigster Großherzog!7 […]

Die Spannung der Gemüter ist sehr groß und es drohen uns in mancher Hinsicht äußerst unangenehme Verhältnisse. Der in die Kohlenbrennerei gehüllte Ultraliberalismus wird noch argen Spuk anrichten, und ob die Gewalt der Bajonette dann hinreichen mag, wird die Zeit lehren.8

Hier in Turin, in Modena usw. haben mancherlei Arrestationen stattgefunden. Es trifft dies Publizisten und Schriftsteller.

Ich bin nun selbst von meinen Agenten für merkantilische Angelegenheiten in Neapel und Sizilien durch den seit acht Tagen unterbrochenen Postenlauf9 abgeschnitten, und wenn ich daher Eur. Kgl. Hoheit die verlangten Maccaroni nicht mehr aus der echten Fabrik der Lazzaronis habe verschaffen können, so glaube ich dagegen desto gewisser sein zu dürfen, daß an den Transporten dieser Pasten10 die ich heute von hier habe abgehen lassen, kein Kohlenbrenner die Hand gelegt hat. Ich habe mir die Freiheit genommen, der Kiste mit deren Maccaroni noch einige Früchte beifügen zu lassen. […] Herrn von Goethes Abhandlung über Manzonis „Carmagnola“ ist unsern hiesigen Romantikern ein solcher Triumph gewesen. Ins Italienische übersetzt wurde solche als Manuskript schnell in Umlauf gebracht und gehörig verschlungen.11

Dieser Brief an den Großherzog Karl August macht deutlich, mit welcher Nonchalance Heinrich Mylius sich im deutsch-italienischen Kontext bewegte. Aus dem Brief geht hervor, dass Mylius beste Handelsbeziehungen in Italien, auch nach Süditalien hatte. Er war hinsichtlich der politischen Situation in Italien auf dem neuesten Stand und berichtete darüber nach Weimar. Er war auch ein exzellenter Kenner der neuesten kulturellen und literarischen Entwicklungen in Italien und der aktuellsten deutsch-italienischen Kultur- und Literaturbeziehungen. Er berichtete dem Großherzog z.B. über die Rezeption von Goethes Abhandlung über Alessandro Manzonis (erste) Tragödie Conte di Carmagnola.

Heinrich Mylius war ein Sammler von Kunstgegenständen, ein Förderer der Künste, ein gebildeter Bürger, der am öffentlichen Leben teilnahm, der die Umwelt, in der er lebte, aktiv mitgestaltete. In Mailand war er Mitbegründer der „Società d’Incorraggiamento d’Arti e Mestieri“, deren erster Vorsitzender er war. Diese Schule entstand in Anlehnung an die Polytechnischen Schulen, die gerade in ganz Europa im Entstehen begriffen waren (in Mylius’ Heimatstadt Frankfurt gab es seit 1816 eine Polytechnische Gesellschaft).12

Heinrich Mylius schrieb nicht nur über kulturelle und politische Themen, sondern wir wissen: Er verkehrte mit den wichtigen Persönlichkeiten und Intellektuellen seiner Zeit auch persönlich. Dazu gehörten der Schriftsteller Alessandro Manzoni, der Philosoph und Politiker Carlo Cattaneo13 ebenso wie der Naturwissenschaftler und Afrikaforscher Eduard Rüppel (Rüppel war ab 1841 zweiter Direktor der von Mylius mitgegründeten Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt).

Ein Freund von Mylius war auch Goethe. Goethe war selbst nie am Comer See, stand aber in so engem Austausch mit Mylius und seiner Frau Friederike Schnauss, dass man die Villa Vigoni in gewisser Weise auch als ein „Goethe-Haus“ betrachten kann, ein Haus, in dem man die goethianische Italiensehnsucht und Italienästhetik wiederfindet. Heinrich Mylius hat sein Sommerhaus nach diesem besonderen deutsch-italienischen Geschmack eingerichtet.

Es ist ein glücklicher Zufall, dass das dreißigjährige Jubiläum der Villa Vigoni im Jahre 2016 mit dem 200. Jubiläum der Erstveröffentlichung von Goethes Italienischer Reise zusammenfällt. Für Goethe war der lange Italienaufenthalt eine prägende Erfahrung, wenngleich nicht nur mit positiven Urteilen verbunden. So pries er z.B. die Natur- und Kunstschönheiten und schwärmte für die Opera buffa, beschrieb aber auch einige italienische Orte als schmutzig oder vergammelt und die Italiener bisweilen als stark gestikulierende, laut durcheinander sprechende Menschen, die ein „nachlässiges Schlaraffenleben“ führen. Eine Ambivalenz der gegenseitigen Einschätzung zieht sich auch durch die heutigen deutsch-italienischen Beziehungen.14

Goethe hat das Konzept einer Weltliteratur entwickelt, die nicht an den Grenzen einer Nation halt machen sollte. Zentral in seiner Bildungsprogrammatik war das Erlernen von Fremdsprachen. Er hat selbst italienische Literatur ins Deutsche übersetzt, darunter Texte von Alessandro Manzoni, dessen bekanntestes Werk – der Roman I Promessi Sposi – mit einer Beschreibung des Comer Sees beginnt.15 Goethes Offenheit und sein ernsthaftes, authentisches Interesse anderen Kulturen und Sprachen findet sich auch in der Lebenshaltung und im Selbstverständnis von Heinrich Mylius und seiner Frau Friederike Schnauss.

Die Villa Vigoni hat neben dem Deutschen Heinrich Mylius und auch einen italienischen Gründungvater, nämlich Ignazio Vigoni. Er war der Enkel von Heinrich Mylius’ Schwiegertochter Luigia Vitali, die in zweiter Ehe einen Vigoni geheiratet hatte. Ignazio Vigoni war der letzte italienische Eigentümer der Liegenschaft Villa Vigoni.16

Aufgrund seines Vermächtnisses ist die Villa Vigoni als deutsch-italienisches Zentrum entstanden. Ignazio Vigoni vermachte den gesamten Gebäudekomplex und das Anwesen, auf dem sich die Villa Mylius-Vigoni befand und das inzwischen durch die Villa Garovaglio-Ricci und andere Besitztümer erweitert worden war, einschließlich Kunstwerke, Einrichtungsgegenstände, Archiv- und Bücherbestand, testamentarisch der Bundesrepublik Deutschland, mit der Auflage, dass dies ein Zentrum des deutsch-italienischen Austauschs werden sollte. Ignazio Vigoni knüpfte in seinem Testament unmittelbar an die Zeit seines Wahlverwandten Heinrich Mylius an.

2. Organisation

Nachdem die Bundesrepublik Deutschland entschieden hatte, das Erbe anzunehmen, und sich mit Italien geeinigt hatte, gemeinsam einen binationalen Verein zu gründen, unterzeichneten am 21. April 1986 die Außenminister Giulio Andreotti und Hans Dietrich Genscher in Bonn eine Regierungsvereinbarung über die gemeinsame Förderung und Nutzung der Villa Vigoni gemäß Ignazio Vigonis Testament.

Die Villa Vigoni ist heute ein eingetragener Verein mit Sitz in Bonn und Como, Italien. Die Aktivitäten finden vor allem in Loveno di Menaggio (Como) statt, wo auch die Verwaltungsgeschäfte geführt werden. Ignazio Vigonis letzter Wille fand seinen Niederschlag im Satzungsauftrag des Vereins.

Die Satzung definiert als Hauptaufgaben der Villa Vigoni:

  1. die „deutsch-italienischen Beziehungen in Wissenschaft, Bildung und Kultur im europäischen Geist unter Einbeziehung ihrer Verflechtungen mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik“ zu fördern,
  2. „die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik“ zu „vertiefen“,
  3. „die Begegnung und das gegenseitige Verständnis zwischen Deutschen und Italienern“ zu „fördern“ und
  4. „einen ständigen Wissens- und Erfahrungsaustausch“ zu „ermöglichen“.
  5. „Der Begegnung des wissenschaftlichen, künstlerischen und beruflichen Nachwuchses“ ist „besondere Aufmerksamkeit“ zu widmen.
  6. Ferner soll die Villa Vigoni „ein Forum für die Erörterung der wissenschaftlichen und technologischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, denen sich beide Länder in der Gemeinschaft der Europäer stellen müssen“, bieten.

Der Verein hat zwei ehrenamtlich tätige Präsidenten, einen deutschen und einen italienischen. Für das operative Geschäft, das Programm, das Personal, das Budget war zunächst ein Beauftragter des Bundes und dann (bis heute) ein Generalsekretär bzw. eine Generalsekretärin zuständig und verantwortlich.

Seit den ersten Anfängen der Villa Vigoni im Jahr 1986 waren folgende Personen als Beauftragte des Bundes bzw. als Generalsekretäre für die Institution verantwortlich (in chronologischer Reihenfolge): Dr. Robert Goroncy, Ulrich Podewils, Paul Harro Piazolo, Prof. Dr. Rudolf Lill, Prof. Dr. Bernd Roeck, Prof. Dr. Aldo Venturelli, Prof. Dr. Gregor Vogt-Spira, Prof. Dr. Immacolata Amodeo (seit 2012).

Präsidenten waren Botschafter Lothar Lahn, Botschafter Luigi Vittorio Ferraris, Erich Kusch, Prof. Dr. Elisabeth Kieven, Botschafter Umberto Vattani. Seit 2013 sind Botschafter Michael Gerdts und Botschafter Leonardo Visconti di Modrone die Präsidenten des Vereins Villa Vigoni e.V.

Institutionelle Mitglieder des Vereins sind neben den beiden hauptverantwortlichen Ministerien – dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Berlin/Bonn und dem Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale (MAECI, Italienisches Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und internationale Zusammenarbeit), Rom – die Italienische Botschaft, Berlin; das Auswärtige Amt, Berlin; die Deutsche Botschaft, Rom; das Ministero per l’Istruzione Università e Ricerca (MIUR, das Italienische Ministerium für Bildung, Universitäten und Forschung), Rom; zahlreiche wissenschaftliche und wissenschaftsfördernde Einrichtungen, darunter deutsche und italienische Universitäten sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn.

Seit 30 Jahren bemüht sich die Villa Vigoni, dem Satzungsauftrag gerecht zu werden. Dies kann sie nicht zuletzt dank ihrer Kooperationen. Sie bestehen mit unterschiedlichsten wissenschaftlichen und wissenschaftsfördernden Einrichtungen, Verbänden, Stiftungen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, kulturellen Institutionen, politischen Akteuren, Wirtschaftsverbänden, teils über Vereinsmitgliedschaften, teils über Projekte, und zwar insbesondere in Deutschland und Italien, aber auch in anderen europäischen Ländern (z.B. Frankreich) und weit über Europa hinaus.

Ich nenne exemplarisch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, den DAAD, die Fondation Maison des Sciences de l’Homme, die Bayerische Staatsbibliothek, das Zentrum für Wissenschaftsmanagement Speyer, das Krebsforschungszentrum Heidelberg, die Università degli Studi di Milano, das Europäische Musikfestival Young Classic Europe Passau, die Beiersdorf S.p.A, die Gerda Henkel Stiftung.

3. Profil

villavigoni_02Das Profil der Villa Vigoni unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von anderen kulturellen oder wissenschaftlichen Auslandsinstituten:

  • Alleinstellungsmerkmale sind die Gleichberechtigung und die gemeinsame Verantwortung zweier Staaten – Deutschland und Italien – in allen Bereichen, die den Verein Villa Vigoni betreffen.
  • Die Villa Vigoni hat einen außergewöhnlichen Charakter aufgrund ihrer asymmetrischen Struktur hinsichtlich der verantwortlichen Ministerien. Hauptsächlich zuständiges Ministerium auf deutscher Seite ist das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung), auf italienischer Seite das MAECI (Italienisches Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Internationale Zusammenarbeit). Diese Stellung zwischen Wissenschaft, Politik, Kultur und Diplomatie trägt zum besonderen Reiz der Villa Vigoni bei, die in diesem Zusammenspiel vielfältige Aufgaben übernimmt, welche in ihrer Pluralität weit über diejenigen eines wissenschaftlichen Tagungszentrums oder eines Forschungsinstituts hinausgehen.
  • Das Personal der Villa Vigoni ist deutsch-italienisch zusammengesetzt, auch auf der Leitungsebene. Damit verbunden ist auch die Zweisprachigkeit des Arbeitsalltags. Dies gilt für die wissenschaftlichen Mitarbeiter wie auch für die Verwaltungsmitarbeiter. Auch das übrige Personal verfügt oft über Fremdsprachenkenntnisse.
  • Die Villa Vigoni hat ein offenes, d.h. nicht auf ein bestimmtes Thema, ein spezifisches Fach oder einen begrenzten Zweck hin enggeführtes Programm (dies unterscheidet die Villa Vigoni z.B. von den deutschen Instituten in Italien wie dem Deutschen Historischen Institut in Rom oder dem Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz, welche von den Fächern und vom Forschungsgegenstand her spezifischer ausgerichtet sind).
  • Typisch für die Villa Vigoni ist eine gelebte sprachliche, kulturelle, historische Diversität, auch als Umfeld und Erfahrungsraum für die Gäste.
  • Die Villa Vigoni zeichnet sich aus durch eine hohe interkulturelle Kompetenz ihrer Mitarbeiter, und zwar in sämtlichen Arbeitsbereichen, sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in jeder anderen Form der Kommunikation und des Austauschs. Die genaue Kenntnis der unterschiedlichen Wissenschaftsstile, der Kommunikationsformen, der Wissenschaftslandschaften, der Gepflogenheiten in Politik und Wirtschaft in beiden Ländern ist die Voraussetzung für die Netzwerkfunktion, die die Villa Vigoni übernehmen kann.
  • Die Villa Vigoni bietet die Möglichkeit, gesellschaftliche Handlungsmodelle in einer Art ‚Laborsituation‘ zu erproben und umzusetzen: Vieles, was gesellschaftlich noch nicht verwirklicht ist, wird in der Villa Vigoni regelmäßig in der Praxis durchgespielt und konkret umgesetzt, z.B. das Modell der Verschiedenheit ohne Hierarchie, die konstruktive Zusammenarbeit trotz unterschiedlicher kultureller Prägungen, die geglückte interkulturelle Kommunikation in vielen Bereichen.
  • Die Villa Vigoni ist ein attraktiver Ort für die Begegnung der Eliten aus Wissenschaft und Wirtschaft, sozialem Bereich und Politik. Wissenschaftliche Veranstaltungen dokumentieren dies, aber auch Treffen von Führungskräften aus Unternehmen, Treffen der italienischen und deutschen Staatspräsidenten, Klausurtreffen, z.B. des Präsidiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Universitätskanzler usw.
  • Die Villa Vigoni ist ein Ort, an dem Problemkomplexe (aus ganz unterschiedlichen Bereichen) aus vergleichender (deutsch-italienischer) Perspektive behandelt werden können, ein Ort, an dem ein auch in die Zukunft gerichteter Dialog, der Deutschland und Italien, Europa und die Welt betrifft, stattfinden kann, und zwar für verschiedene Generationen.
  • Die Villa Vigoni ist ein Ort, an dem kulturelle Dynamiken modellhaft untersucht werden. Sie ist ein Labor, in welchem Lösungen virulenter Probleme anhand von Fallstudien erarbeitet oder in übergeordneter Weise studiert werden können.

4. Programm

Ein Programmschwerpunkt ist zum Beispiel „Migration in Geschichte und Gegenwart“. Dieser Programmschwerpunkt setzt an bei der Migration als zentralem Thema des 21. Jahrhunderts und als Konstante kultureller Entwicklungsprozesse. Dazu gehören Fragen des Sprachenwechsels und der Mehrsprachigkeit ebenso wie die Analyse von Prozessen der kulturellen Integration bzw. kultureller Konflikte und deren Lösung.

Migration war bereits das Thema der Begegnung zwischen Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan und dem italienischen Außenminister Franco Frattini im Rahmen der Feier des 25. Jubiläums der Villa Vigoni in Rom. Der römischen Veranstaltung ging eine Fachtagung in der Villa Vigoni mit dem Titel „Migration, Integration, Kooperation: aktuelle Herausforderungen im deutsch-italienischen Dialog“ voraus. Im Programm der Villa Vigoni der letzten Jahre sind wichtige Initiativen zum Themenkomplex „Migration in Geschichte und Gegenwart“ die Vigoni-Sommerforen 2012-2016 zu u.a. den Themen: Migration, Demokratie, Menschenrechte (2012)17, Migration, Kultur, Kreativität (2013), Migration, Mehrsprachigkeit, Schule (2014), Europa und die Migrationen (2016). Adressaten der Vigoni-Sommerforen sind Vertreter der Zivilgesellschaft, Studierende, Wissenschaftler sowie ein allgemeines interessiertes Publikum wie z.B. die Mitglieder des Trägervereins und des Förderkreises der Villa Vigoni. Das traditionelle Veranstaltungsformat des Vigoni-Sommerforums, das jährlich in Verbindung mit dem großen Event des Vigoni-Sommerkonzerts stattfindet, gewann durch die Migrations-Thematik eine besondere Akzentuierung. Zu den Initiativen der Villa Vigoni zum Programmschwerpunkt „Migration in Geschichte und Gegenwart“ gehört auch das Writers-in-Residence-Programm in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung im Rahmen ihrer Förderung der Chamisso-Preisträger und Chamisso-Förderpreisträger.

Der Programmschwerpunkt „Migration in Geschichte und Gegenwart“ legitimiert sich nicht zuletzt durch die Biographie des ersten deutschen Eigentümers der Villa Vigoni Heinrich Mylius. Damit lässt sich Migrationsgeschichte auch als eine Erfolgsgeschichte erzählen. Die Villa Vigoni ist ein Ort, an dem sich Migration als positives, grundlegendes Element kultureller Entwicklung studieren lässt.

Die Villa Vigoni bietet einen geeigneten Rahmen für die Entwicklung von Konzepten zum Verständnis der europäischen Vergangenheit und für die Sinnstiftung in der Gegenwart (z.B. im Zusammenhang ihrer Arbeit für die Deutsch-Italienische Historikerkommission). Gerade in der post-nationalen Situation, in der wir uns befinden, kann die Villa Vigoni empirische Evidenzen und theoretisches Know-how dafür bieten, um z.B. Konstrukte wie „Nationalkultur“, „Nationalgeschichte“ usw. zu revidieren, um überspannten Lokalismen entgegenzutreten und alternative Konzepte zu entwickeln. In einer immer komplexer werdenden Welt ist die Politik auf den Dialog mit der Wissenschaft und Kultur angewiesen. Die Villa Vigoni kann dabei die Rolle als Impulsgeberin übernehmen. Z.B. werden manchmal in Workshops oder Symposien konkrete Vorschläge für das politische und gesellschaftliche Leben erarbeitet (vgl. etwa Veranstaltungen wie z.B. „Auf dem Weg zu europäischen Streitkräften?“, DFG-Villa Vigoni-Gespräch, April 2012).

Mit ihren zwei historisch eingerichteten Villen mit Parkanlage, der Unterbringungsmöglichkeit von bis zu ca. 50 Personen, mehreren Tagungsräumen, bietet die Villa Vigoni einen Rahmen, um ungestört vom Alltagsgeschäft an einem landschaftlich und ästhetisch inspirierenden Ort konzentriert zu arbeiten, zu schreiben, nachzudenken, gemeinsame Strategien zu entwerfen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Zum Programm gehören derzeit:

  • 70–80 Veranstaltungen im Jahr;
  • überwiegend Tagungen, Konferenzen, Graduiertenseminare, Workshops, Expertengespräche, Executive Meetings, Klausurtagungen;
  • 15–20 Konzerte;
  • mehrere Ausstellungen;
  • Deutschkurse;
  • öffentliche Führungen durch die historischen Villen und den Park.

Im wissenschaftlichen Bereich hat die solide und bewährte Zusammenarbeit mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat verschiedene in der wissenschaftlichen ‚community‘ angesehene und im Programm der Villa Vigoni fest verankerte Veranstaltungsreihen hervorgebracht, von denen das umfangreichste die „Deutsch-Italienische Zusammenarbeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften“ (ehemals: DFG-Villa Vigoni-Gespräche) ist. Als Kooperation von Deutscher Forschungsgemeinschaft, Fondation Maison des Sciences de l’Homme und Villa Vigoni bietet das Trilaterale Programm eine politische und kulturelle Erweiterung in Richtung auf Frankreich. Dieses Programm setzt einen besonderen Akzent auf die Förderung der europäischen Mehrsprachigkeit.

Die Villa Vigoni entwickelt einerseits eigene Themen und Projekte und fungiert andererseits als Plattform und Netzwerk für Kooperationspartner. Zu den eigenen Programmen und Veranstaltungen im engeren Sinn hinzu kommt also eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Veranstaltungen, die von externen Koordinatoren – in manchen Fällen in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Personal der Villa Vigoni konzipiert – organisiert und in der Regel extern finanziert werden. Diese decken ein breites Spektrum von Disziplinen (von der Atomphysik über die Krebsforschung bis zu den politischen Wissenschaften) und Institutionen (juristische Berufsverbände, universitäre und außeruniversitäre wissenschaftliche Einrichtungen, Organisationen im Bereich Forschungsmanagement) ab.

Im Hinblick auf die Erfüllung des Satzungsauftrages ist die Villa Vigoni als kulturelles Zentrum eine einzigartige Einrichtung, in der, auch für ein breiteres Publikum, Veranstaltungen stattfinden, welche internationale Akteure mit der Region (und umgekehrt) in Kontakt bringen. Zu nennen sind hier die regelmäßig stattfindenden Führungen in den Sprachen Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch und gelegentlich auch Spanisch. Seit einigen Jahren neu eingeführt wurden die vom wissenschaftlichen Team konzipierten und ausgerichteten Vigoni-Sommerseminare zur Italienischen Kultur und Geschichte für allgemein Interessierte Teilnehmer ohne Italienischkenntnisse oder mit geringen Italienischkenntnissen. Von großer Bedeutung für den Bereich ‚Kultur‘ sind die von der Villa Vigoni oder von Kooperationspartnern organisierten Konzerte. Sie eignen sich besonders für eine Interaktion mit der lokalen und regionalen Bevölkerung und mit internationalen Interessierten. Zu nennen sind hier auch die Deutschkurse, die in Kooperation mit einer externen Deutschdozentin organisiert werden und einmal wöchentlich stattfinden.

Zu den neuen Programmschwerpunkten, die in den letzten Jahren eingeführt wurden, gehört die „Junge Villa Vigoni“, die als Zielgruppe Schüler, Studierende und Doktoranden ins Auge fasst. Besonders das Vigoni-Studentenforum sei hier genannt. Es wird in Zusammenarbeit mit und durch die großzügige Unterstützung des Förderkreises der Freunde der Villa Vigoni inzwischen seit einigen Jahren ermöglicht. Auch die seit einigen Jahren stattfindenden Masterclasses für junge Musiker bereichern den Programmschwerpunkt „Junge Villa Vigoni“.

Im Bereich Politik und Wirtschaft wird die Villa Vigoni genutzt für Treffen von politischen Entscheidungsträgern, Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und Multiplikatoren im deutsch-italienischen bzw. internationalen Kontext. Z.B. die Staatspräsidenten Rau und Ciampi, Wulff und Napolitano haben sich in der Villa Vigoni ebenso getroffen wie die Ministerinnen Wanka und Giannini getroffen.

Die Villa Vigoni ist ein konkreter, physischer, aber auch ein ideeller und ein symbolischer Ort. Eine deutsch-italienische Kompetenzbrücke auf den europäischen Kontext und auf die globale Dimension zu. So präsentiert sich das Profil der Villa Vigoni den gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen gegenüber, die beides fordern: die Erforschung der großen gemeinsamen Traditionen ebenso wie das Aufspüren neuer Denkwege und innovativer Beschreibungen unserer Gegenwart und Zukunft. Die deutsch-italienische Bilateralität wird in der Villa Vigoni verstanden als eine konkrete Ausgestaltung des europäischen Integrationsprozesses als Teil der Globalisierung. Vor dem Hintergrund der großen, nicht nur wirtschaftlichen Frakturen, die durch Europa und die Welt gehen, scheint mir diese Kooperation um so wichtiger. In diesem Sinn ist die Villa Vigoni in Loveno di Menaggio am Comer See in vielerlei Hinsicht ein besonderer Ort, ein Ort des Ermöglichens, ein europäischer Ort, jenseits der Nationalismen.

 


  1. Dr. Christiane Liermann Traniello, Villa Vigoni, danke ich sehr herzlich für die wertvolle kenntnisreiche Unterstützung bei der bibliographischen Dokumentation zu diesem Beitrag.
  2. Aus der Fülle der einschlägigen Literatur seien genannt Italo Michel Battafarano, Die im Chaos blühenden Zitronen: Identität und Alterität in Goethes Italienischer Reise (Bern: Peter Lang, 1999); Alfred Behrmann, Das Tramontane oder die Reise nach dem gelobten Lande: deutsche Schriftsteller in Italien 1755–1808 (Heidelberg: Winter, 1996); Frank-Ruter Hausmann u.a., Hrsg.,‚Italien in Germanien‘: deutsche Italien-Rezeption von 1750–1850 (Tübingen: Narr, 1996); Günter Oesterle, Bernd Roeck und Christine Tauber, Hrsg., Italien in Aneignung und Widerspruch (Tübingen: Niemeyer, 1996).
  3. Zum wirtschaftshistorischen Kontext vgl. Cinzia Martignone, Imprenditori protestanti a Milano 1850–1900 (Mailand: Angeli, 2001); Monika Poettinger, Hrsg., German Merchant and Entrepreneurial Migrations (1750–1900) (Mailand, Lugano: Giampiero Casagrande, 2012), dort insbesondere Monika Poettinger, „The Mercantile Network Economy and the Mechanization of Cotton Spinning and Printing in Milan (1760–1815)“, 253–308.
  4. Nach wie vor informativ Frank Baasner, Hrsg., Die Mylius-Vigoni (Tübingen: Niemeyer, 1992); sowie Angelo Moioli, „Enrico Mylius negoziante e banchiere“, in ‚…rispettabilissimo Goethe … caro Hayez … adorato Thorvaldsen…‘: gusto e cultura europea nelle raccolte d’arte di Enrico Mylius, hrsg. von Rosanna Pavoni (Venedig: Marsilio, 1999), 29–37.
  5. Vgl. Hugo Blank, Hrsg., Weimar und Mailand: Briefe und Dokumente zu einem Austausch um Goethe und Manzoni (Heidelberg: Winter, 1992); sowie Thomas Besing, Giovanni Meda und Serena Bertolucci, „‚L’eccellente uomo‘. Enrico Mylius: committenza, meccenatismo e mediazione culturale“, in Pavoni, Hrsg., ‚… rispettabilissimo Goethe…‘, 53–63, mit Dokumentenanhang, 163ff.
  6. G. Meda Riquier, M. Vangi, Hrsg. in Zusammenarbeit mit V. Usselmann, ‚Il Bello, l’Utile e l’Onesto‘. ‚Das Schöne, das Nützliche und das Gute‘: Goethe und Mylius in Italia – Goethe und Mylius in Italien (Como, 2016).
  7. Gemeint ist Karl August, Großherzog von Sachsen-Weimar.
  8. Die „Carbonerie“ (vgl. ital. „carbonaio“ – Köhler, Plural „Carbonari“) war ein politischer Geheimbund in Süditalien, um 1808 entstanden, der für nationale und liberale Bestrebungen kämpfte und an den Aufständen von 1820/1821 in Neapel, von 1831 in Bologna sowie 1848 beteiligt war; vgl. zu den Geheimgesellschaften und klandestinen Zirkeln in der ersten Phase des Risorgimento Francesco Traniello und Gianni Sofri, Der lange Weg zur Nation – das italienische Risorgimento (Stuttgart: Kohlhammer: 2012), 58ff.
  9. Gemeint ist Postlauf, also Postverbindung.
  10. Teigwaren, nach ital. „pasta“.
  11. Blank, Weimar und Mailand, 208–9.
  12. Vgl. Maurizio Romano, Alle origini dell’industria lombarda: manifatture, tecnologie e cultura economica nell’età della Restaurazione (Mailand: Angeli, 2012).
  13. Speziell zu Cattaneos politischer Nähe zur Schweiz und seiner Exilzeit dort C. Moos, „Carlo Cattaneo in Ticino dal 1848 al 1869“, Bollettino della Società Storica Locarnese 14 (2011): 95–110.
  14. Vgl. zum kritischen bis ablehnenden Italien-Bild, nicht nur in der deutschen Kultur, von der Aufklärung bis in die Gegenwart, die Beiträge in Joseph Imorde und Erik Wegerhoff, Hrsg., Dreckige Laken: die Kehrseite der ‚Grand Tour‘ (Berlin: Wagenbach, 2012).
  15. Die Quellen zum Kontakt Goethe – Manzoni in Alessandro Manzoni, Carteggi letterari, hrsg. von Serena Bertolucci und Giovanni Meda Riquier. Ed. Nazionale ed Europea delle Opere di Alessandro Manzoni vol. 29/1 (Mailand: Centro nazionale studi manzoniani, 2010). Immer noch einschlägig Horst Rüdiger, „Interessamento di Goethe per Manzoni“, in Atti del convegno di studi manzoniani, 12–14 marzo 1973 (Roma: Accad. nazionale dei Lincei, 1974), 71–87. Vgl. auch Mazzino Montinari, „Goethe und Manzoni: zur Problematik ihrer geistigen Begegnung“, Studi Germanici 9 (1971): 349–418, sowie Hugo Blank, Goethe und Manzoni: Weimar und Mailand (Heidelberg: Winter, 1988).
  16. Zur Biographie Ignazio Vigonis vgl. Christiane Liermann zusammen mit Giovanni Meda, „Laudator temporis acti – zwischen Nostalgie und Zukunftsvision: Ignazio Vigoni Medici di Marignano (1905–1983)“, Zibaldone (2007): 45–62.
  17. Die Ergebnisse der Tagung sind dokumentiert in dem Band Immacolata u.a., Hrsg., Migration, Demokratie, Menschenrechte, Impulse: Villa Vigoni im Gespräch 9 (Stuttgart: Steiner, 2016).
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