Europa: Untergangsvisionen

Beiträge, Französisch

Franziska Sick, „Untergangsphantasien/-diskurse: Goll, Céline, Gracq, Houellebecq“, Abdruck in Romanischen Studien 4 (2016).

zum CFP „Empire latin: Romania und Europa“

Aktuelle Themen wie das des lateinischen Reichs laden dazu ein, sie nach Maßgabe sachlicher, historisch-politischer Voraussetzungen zu diskutieren. Der vorliegende Beitrag versucht unter dem Stichwort Untergangsphantasien nichtsdestoweniger einen Schritt zurückzutreten und das diskursive, narrative Feld zu klären, in dem solche Diskussionen beheimatet sind.

Themen: Untergang; Décadence; Apokalypse; lateinisches Reich; Interkulturalität; Kojève, Alexandre; Agamben, Giorgio; Céline, Louis-Ferdinand; Voyage au bout de la nuit; Goll, Iwan; Die Eurokokke; Gracq, Julien; Le rivage des Syrtes; Houellebecq, Michel; Soumission

Auszug aus dem Artikel von Franziska Sick:

Untergangsphantasien/-diskurse: Goll, Céline, Gracq, Houellebecq

Zum aktuellen Kontext

Europa, sagt man, muss sich zusammenschließen, um in der globalisierten Welt wirtschaftlich bestehen zu können. Andererseits führt die Verschmelzung von Hartwährungsländern mit Weichwährungsländern zu beträchtlichen ökonomischen Verwerfungen – aber auch zu ideologischen. Wie europaweit zu besichtigen ist: Im Gefolge der Währungsunion und neuerdings der Flüchtlingskrise sind sowohl am linken wie am rechten Rand nicht unerhebliche Tendenzen zur Renationalisierung zu verzeichnen. Sie verleiten selbst Intellektuelle zu so provokanten wie eben deshalb parteilichen und unausgewogenen Einlassungen.

So bringt Agamben gegen die Austeritätspolitik Merkels Kojèves Forderung nach einem lateinischen Reich ins Spiel.1 Kojève sagte nach dem Zweiten Weltkrieg das Wiedererstarken Deutschlands voraus; er unterstellte ferner, dass Deutschland sich am angelsächsischen Raum orientieren und Frankreich damit in eine Satellitenrolle abgedrängt werde. Um dem vorzubeugen, sollten sich Frankreich, Italien und Spanien zu einem lateinischen Reich zusammenschließen.2 In mehr oder weniger loser Anlehnung an Kojève spielt Agamben mit dieser Idee eines lateinischen Reichs. Nur so könne man dem Ökonomismus des protestantischen Nordens entkommen, der die romanische, vom Katholizismus geprägte Lebensart zerstöre.3

Obwohl das nicht meine argumentative Hauptstoßrichtung ist: Fragwürdig ist Agambens Vortrag bereits in wirtschaftspolitischer/-historischer Hinsicht: Vor der Währungsunion hat wohl keine deutsche Regierung den romanischen Ländern in ihre Wirtschafts- und Lebensart hineingeredet, und richtig ist wohl auch, dass die Initiativen für eine Währungsunion eher von Frankreich als von Deutschland ausgingen.4 Unabhängig davon: Eine gemeinsame Währung erfordert – um ökonomische Verwerfungen zu vermeiden – eine Angleichung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie weiterer volkswirtschaftlicher Eckdaten. Das hat nichts mit dem katholischen Geist hier und dem protestantischen dort zu tun. Es sind vorrangig die volkswirtschaftlichen Bedingungen einer Währungsunion, die hierbei in Anschlag zu bringen sind. Wenn das von Agamben propopagierte lateinische Reich weniger ökonomisch orientiert und deshalb dauerhaft weniger wirtschaftlich-leistungsfähig sein sollte, führt das unter der Voraussetzung einer gemeinsamen Währung dazu, dass entweder der Norden den Süden alimentieren (Stichwort: Transfer- oder Inflationsunion) oder das „lateinische Reich“ die Kosten seiner Lebensart in Form von u.a. Lohnverzicht oder einer erhöhten Arbeitslosenquote selbst tragen müsste.

Agamben äußert sich zu solchen finanzwirtschaftlichen Zusammenhängen nicht. Er zieht es stattdessen vor, die kulturelle Hegemonie des Südens unter der Führung Frankreichs zu fordern. Gegenüber den Deutschen hört sich das dann das so an:

[…] imposer à la majorité des plus pauvres les intérêts de la minorité des plus riches, qui coïncident la plupart du temps avec ceux d’une seule nation, que rien ne permet, dans l’histoire récente, de considérer comme exemplaire.5

Man muss sich an dieser Stelle schon fragen, wen Agamben mit den Reichsten meint: die Aldi-Erben und die griechischen Reeder – oder nicht doch die Deutschen, also die Aldi-Erben und die Hartz IV-Empfänger?6 Fragwürdig ist nicht zuletzt sein Quellenbezug: Kojève schlug, die wirtschaftliche Schwäche des lateinischen Reiches vorhersehend vor, diese durch eine gemeinsame Ausbeutung der Kolonien zu kompensieren. Die Frage, wie das lateinische Reich nach Wegfall der Kolonien seine wirtschaftliche Schwäche ausgleichen könne, stellt sich Agamben nicht; stattdessen weicht er in ein interkulturelles Diskursschema aus:

Non seulement il n’y a aucun sens à demander à un Grec ou à un Italien de vivre comme un Allemand; mais quand bien même cela serait possible, cela aboutirait à la disparition d’un patrimoine culturel qui se trouve avant toute chose une forme de vie.7

Da der drohende Untergang ein Kernargument in Agambens Essay ist, da er sich überdies trotz des gemeinsamen Diskussionsrahmens als äußerst ambig erweist – Ausbeutung der fremden versus Schonung der eigenen Lebensart – scheint es lohnend, der Tradition solcher Argumentationsweisen oder aber auch Untergangsphantasien nachzufragen.

Das ist, wenn wir über europäische Kultur(en)gemeinschaft reden,8 ein vielleicht randständiges Thema. Denn diese behauptet entweder – wenn wir das Wort im Singular nehmen – eine weitgehende Homogenität europäischer Kultur- und Lebensart, oder sie insinuiert – wenn wir das Wort im Plural nehmen –, dass es in Europa zwar unterschiedliche Kulturen gebe, die Unterschiede auf dem Wege eines interkulturellen Verstehens aber überbrückbar seien. So vielleicht etwas zu optimistisch interpretiere zumindest ich die Rede von der Kultur(en)gemeinschaft. Agamben schlägt einen anderen Ton an. Seiner Auffassung zufolge sind die kulturellen Differenzen so groß, dass er den Verlust der eigenen Kultur befürchtet und im Gegenzug hegemoniale Forderungen erhebt. Im Grunde kündigt er damit die interkulturelle Diskursgemeinschaft auf. Denn die Voraussetzung von Interkulturalität im emphatischen Sinne besteht eben darin, dass man die andere Kultur als prinzipiell gleichwertig anerkennt.9

Wie sich an dieser Stelle zeigt, besteht Europa nicht bloß aus erworbener Gemeinsamkeit und – im Geiste der Aufklärung – aus toleranter Überbrückung der verbliebenen historischen Differenzen, sondern eben auch aus Untergangsphantasien. Nicht nur bei Agamben und nicht nur in negativer Weise. Das Nachkriegseuropa bezieht nachgerade seine Identität hieraus: Nach zwei Kriegen hat man verstanden, dass man nicht länger Krieg gegeneinander führen sollte. Insofern ist die Identität Europas zutiefst von einer Untergangsphantasie gespeist.

Diese Identität ist so schwach wie zugleich stark. Schwach ist sie, weil sie als Untergangsphantasie nur den Charakter einer Vermeidung und keinen positiven Bezugspunkt hat. Stark ist sie, weil nichts stärker eint als ein bevorstehender Untergang oder ein gemeinsamer Gegner. Der gemeinsame Gegner, das ist im Europa der Weltkriege es selbst, es selbst mit seinen Nationalismen. Für gewöhnlich identifizieren Untergangsphantasien nichtsdestoweniger einen äußeren Feind als Gegenbild zum Risiko des eigenen Verfalls. So etwa bei Iwan Goll:

Ich bin ein armer, alter, blasser, schlaffer Europäer, zu nichts mehr nutz.10

Aber ich hasse Amerika […].11

Nachdem ich vorstehend das Thema Untergangsphantasien/-diskurse problembezogen und deshalb etwas freihändig eingeführt habe, scheint es angebracht, es begrifflich zu präziseren: Untergangsphantasien handeln vom Verfall, von der Bedrohung der eigenen Kultur, aber auch – und obwohl dies ein Grenzfall ist – von einer Bedrohung, die dem Einzelnen12 aus solchen Szenarien erwächst.

Die Rede von Untergangsphantasien ist dabei nicht so zu verstehen, dass es sich um eine reine Phantasterei handelt. Der Begriff ‚Phantasie‘ ist im vorliegenden Beitrag schon deshalb angebracht, weil er überwiegend literarische Texte behandelt. Angemessen scheint er aber auch im außerliterarischen Bereich, weil wir auch dort über Zukunftsprojektionen, und das heißt über Fiktionen und große Erzählungen sprechen. Unangemessen wäre es vor solchem Hintergrund, von Untergangsprognosen zu reden. Als Beispiel hierfür kann Agambens Essay dienen. Er ist schon deshalb keine Prognose, weil Agamben kein hinlängliches Daten- und Diskussionsmaterial bereitstellt, sondern stattdessen Ängste bedient und schürt.

Damit ist unter der Hand eine erste Richtung der vorstehenden Untersuchung beschrieben: Im Vordergrund stehen weniger Inhalte, sachliche Positionen – etwa zum lateinischen Reich –, sondern Diskursstrukturen, Narrative, rhetorische Zurichtungen sowie eine erste Typisierung von Untergangsphantasien. Zu erarbeiten ist letztere im Kontrast zum interkulturellen Diskurs, ohne dass dieser vollumfänglich zu betrachten und zu charakterisieren wäre.

Um einleitend hierzu eine erste Vorschau zu bieten.

  • Wie bereits angedeutet: Untergangsdiskurse sind von einem Narrativ geprägt, das dem der Interkulturalität nachgerade zuwiderläuft. Typischerweise operiert letzteres mit Begriffen wie Identität, Differenz, Verstehen und Fortschritt. Wir haben gemeinsame oder aber auch differente Wurzeln, wir haben uns vielleicht etwas auseinander entwickelt, aber wenn wir eingedenk unserer gemeinsamen Vergangenheit diese Differenzen überbrücken oder auch nur tolerieren, können wir auf höherer Ebene eine vertiefte Gemeinschaft bilden. Ganz anders ist das Narrativ der Untergangsphantasien verfasst. Sein Ausgangspunkt ist zumeist in aller Offenheit das eigene Ungenügen, der eigene Verfall. Invers verhält sich deshalb die Zeitlichkeit beider Narrative. Während der klassisch interkulturelle Diskurs evolutionär, fortschrittsgläubig ist, ist der Diskurs der Untergangsphantasien katastrophisch.
  • Da Untergangsphantasien von der eigenen Gefährdung handeln, tritt der Andere nicht in primärer Weise in den Blick. Er ist im Kontext der Untergangsphantasie eine Projektionsfigur, die das eigene Ungenügen spiegelt. Auch hierin verhalten sich Untergangsphantasien komplementär zum interkulturellen Diskurs. Denn dieser fokussiert von Anfang an den Anderen. Er sucht die interkulturelle Begegnung.
  • Insofern der Andere eine Projektionsfigur ist, tendieren Untergangsphantasien zu einer Stereotypisierung des Anderen. Er kann dabei – wie bei Agamben – als schiere Gegenfigur auftreten. Häufig tendieren Untergangsphantasien aber auch dazu, Zuflucht beim Gegner zu suchen, um dem eigenen Ungenügen zu entkommen.
  • Untergangsphantasien sind ungleich politischer als der interkulturelle Diskurs – selbst dann noch, wenn sie sich apolitisch gebärden. Das liegt in der Natur der Sache. In dem Maße, wie Untergangsphantasien von der eigenen Gefährdung handeln, eröffnen sie gegenbildlich ein Spielfeld der Macht, oder mit anderen Worten: ein Spielfeld realpolitischer Beziehungen. Ganz anders sind interkulturelle Diskurse verfasst. Sie setzen auf ein wie auch immer persönliches, zwischenmenschliches Verständnis.
  • Wie verkürzt auch immer lässt sich die politische Dimension der Untergangsdiskurse historisch erklären. Historisch weist Interkulturalität auf Diskurskurstraditionen des 18. und frühen 19. Jh. zurück. Zu dieser Zeit bildeten die Bürger so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit aus: mit Begriffen wie Freundschaft, Brüderlichkeit versuchte man gegen den Adel gleichsam eine Gesellschaft neben der Gesellschaft aufzubauen. Zeitversetzt zum Diskurs der Interkulturalität entstehen Untergangsphantasien auf der Basis eines ansatzweise etablierten Bürgertums, also genau dann, wenn der Bürger auf seine eigene schöne neue Welt zu treffen beginnt. Er versteht sich in stärkerem Maß als Teil der Gesamtgesellschaft und -kultur und entwickelt mit Bezug auf sie Gestaltungsansprüche und komplementär hierzu ein Krisenbewusstsein. Das ist einmal mehr kein unmittelbar politischer Diskurs – denn es geht nicht um Tagespolitik –, aber er ist offensichtlich gesamtgesellschaftlicher orientiert als eine Interkulturalität, die in der Tradition des 18. Jh. steht und mit dem Leitbegriff der Freundschaft im Grundansatz nicht gesamtgesellschaftlich, sondern intim, nebengesellschaftlich kodiert ist.
  • Die unterschiedliche Verankerung beider Diskurstypen geht mit einer thematischen Verschiebung einher. Während der interkulturelle Diskurs auf Begriffe wie Individuum, Verstehen und Toleranz setzt, sind Untergangsdiskurse ungleich weniger idealistisch, sondern vielmehr lebensphilosophisch, und das heißt mit einem anderem Wort: im weitesten Sinne existentiell geprägt. Man sorgt sich um den Fortbestand der eigenen Kultur/Gesellschaft. Das kann im Sinne der Décadence-Tradition heißen, dass man die eigene Kultur wie ein Lebewesen versteht, das wie jedes Lebewesen einem natürlichen Alterungsprozess13 unterliegt. Es kann aber auch, wenn man spätere Ausprägungen wie die Anti-AKW-Bewegung und den Klimaschutz betrachtet, die Sorge um den Lebensraum meinen. In beiden Fällen stehen nicht Begriffe wie Verstehen und Toleranz, sondern Begriffe wie Sorge und Leben im Raum.
  • Trotz solch katastrophischer Weiterungen: Untergangsphantasien im vorstehenden Sinn sind nicht mit Apokalypsen zu verwechseln. Während apokalyptische Untergänge mythisch und später naturgesetzlich bedingt sind, beziehen sich die in unserem Umfeld zu behandelnden Untergänge durchweg auf gesellschaftliche Bedingnisse. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Lars von Triers Melancholia ist in diesem Sinn ein apokalyptischer, wenn auch von Untergangsstimmungen geprägter Film, während Francis Ford Coppolas Apocalypse Now entgegen dem anderslautenden Titel keine Apokalypse, sondern eine gesellschaftliche Untergangsphantasie entwickelt.14

Soviel einleitend zum Ausblick. Wie an ihm zu ermessen ist, besitzen Untergangsphantasien eine beträchtliche Spannbreite. Ich versuche diesem Umstand zumindest ansatzweise dadurch gerecht zu werden, dass ich mit den Autoren Goll, Céline, Gracq und Houellebecq eine vergleichsweise heterogene Textauswahl in Blick nehme. Ich behandle die Texte nicht chronologisch, sondern gliedere sie systematisch: Céline und Gracq beziehen sich auf ein Kriegsszenario. So unterschiedlich die beiden Autoren damit auch umgehen – Untergangsphantasien treten uns hier im Kontext internationaler Konflikte entgegen. Goll und Houellebecq sind demgegenüber in ungleich höherem Maße mit dem eigenen kulturellen Ungenügen und weniger mit internationalen Konflikten befasst.

Fortsetzung in Heft 4 der Romanischen Studien

Ill.: Louis-Ferdinand Céline

 


  1. Giorgio Agamben, „Se un impero latino prendesse forma nel cuore d’Europa“, La Repubblica, 15. März 2013, 53, http://rassegnastampa.unipi.it/rassegna/archivio/2013/03/15SIQ5029.PDF. Eine furiose Debatte löst dieser Artikel erst nach seiner Übersetzung ins Französische, nicht zuletzt wegen des zugespitzten Titels aus: Giorgio Agamben, „Que l’Empire latin contre-attaque!“, Libération, 24. März 2013, www.liberation.fr/monde/2013/03/24/que-l-empire-latin-contre-attaque_890916.
  2. Alexandre Kojève, „Das lateinische Reich: Skizze einer Doktrin der französischen Politik“ [1945], Tumult 15 (1991): 92–122. – Die französische Erstfassung (Esquisse d’une doctrine de la politique française) befindet sich im Archiv der Hoover Foundation. Sie wurde erstmals 1990 in der von Bernard-Henri Lévy gegründeten Zeitschrift La Règle du Jeu unter dem Titel L’Empire Latin publiziert. Auf diesem Text basiert die Übersetzung von Helmut Kohlenberger und Walter Seitter in der Zeitschrift Tumult. – Zur Esquisse Kojèves, ihrer politischen Bedeutung in der französischen Nachkriegspolitik und ihrer Publikation durch B.-H. Lévy im Gefolge der deutschen Wiedervereinigung, vgl. Wolf Lepenies, Die Macht am Mittelmeer: französische Träume von einem anderen Europa (München: Hanser, 2016), 15–32, 69–70.
  3. Vgl. Agamben, „Que l’Empire latin contre-attaque“. In ähnlicher Weise argumentiert in seinem Gefolge Max A. Höfer, „Siempre la Siesta: Südeuropa fühlt sich und die lateinische Lebensart bedroht. Absurd ist das nicht“, Der Spiegel, Nr. 26, 2013, 128–9.
  4. Zur Diskussion steht an dieser Stelle, ob und in welchem Umfang der Euro der Preis für die deutsche Wiedervereinigung war. Auch wenn die deutsche Seite das dementiert – Recherchen des Spiegel deuten in eine andere Richtung. Die deutsche Regierung hatte demzufolge das Projekt einer Währungsunion eher zögerlich behandelt. Forciert wurde es von Frankreich im Zuge der Wiedervereinigung, vgl. Michael Sauga, Stefan Simons und Klaus Wiegrefe, „Der Preis der Einheit“, Der Spiegel, Nr. 39, 2010, 34–8. – In dieselbe Richtung deutet, dass Hartwährungsländer wie die Schweiz oder England dem Euro nicht beigetreten sind.
  5. Agamben, „Que l’Empire latin contre-attaque!“ – Das „que rien ne permet […] de considérer comme exemplaire“ ist fraglos eine unzulässige Untertreibung. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass Deutschland sich nach 1945 als stabiler demokratischer Staat erwiesen hat. Der mediterrane Raum erwies sich demgegenüber bis herauf in die Mitte der 1970er Jahre als ein Hort rechter Diktaturen. So namentlich in Spanien, Portugal und Griechenland. Man müsste solche im Grunde fragwürdigen Gegenrechnungen nicht aufstellen, wenn Agamben nicht mit ihnen aufwarten würde.
  6. Zu besichtigen sind an dieser Stelle die intellektuellen Kollateralschäden, die genau dann entstehen, wenn man das linke Projekt, das gegen die Ausbeutung der Arbeiter gerichtet war, in ein nationales umzumünzen versucht. Die Ausbeutung der Arbeiter gibt es nach wie vor. Sie ist in ihrer globalen Ausprägung eine Herausforderung westlicher Wirtschaftsform. Agamben blendet dieses Problem aus, um dann von den reichen Deutschen zu reden.
  7. Agamben, „Que l’Empire latin contre-attaque!“
  8. Der vorliegende Beitrag basiert auf einem Vortrag, der im Rahmen einer öffentlichen Ringvorlesung zum Thema Europäische Kultur(en)gemeinschaft: Europa in den Perspektiven seiner Länder am 20. Mai 2015 an der Universität Kassel gehalten wurde.
  9. In einem Interview mit der FAZ korrigiert sich Agamben dahingehend, „Giorgio Agamben im Gespräch: die endlose Krise ist ein Machtinstrument“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Mai 2013, www.faz.net/aktuell/feuilleton/bilder-und-zeiten/giorgio-agamben-im-gespraech-die-endlose-krise-ist-ein-machtinstrument-12193816.html.
  10. Iwan Goll, Die Eurokokke [1927] (Göttingen: Wallstein, 2002), 73.
  11. Goll, Die Eurokokke, 67.
  12. Namentlich ist damit Célines Voyage au bout de la nuit adressiert. Texte dieses Formats sind schon deshalb in die Betrachtung miteinzubeziehen, weil sie trotz aller Zurückweisung der kulturell-politischen Sphäre diese zumindest noch adressieren. Untergangsphantasien rein privater Natur – so es solche überhaupt gibt – sind gemessen hieran ein gänzlich anderes Thema.
  13. An dieser Stelle wird kenntlich, dass die vorstehende Zuordnung historisch etwas schematisch ist. Von einem Altern der Kultur redet bereits Hegel. Zu verweisen wäre ferner auf den Kontrast von Anciens et Modernes, von naiver und sentimentalischer Dichtung.
  14. Melancholia ist apokalyptisch einfach deshalb, weil in diesem Film ein fremder Planet mit der Erde kollidiert. Es ist eine zweite Sache, dass Melancholia im ersten Hauptteil mit einer Hochzeit sowie mit der Depression der Protagonistin und Braut auch eine gesellschaftliche Dimension setzt. Der Antikriegsfilm Apocalypse Now wartet demgegenüber in der ersten Hauptsequenz mit einem Trupp mehr oder minder dekadenter Vietnamsoldaten auf, um uns im Schlussteil mit einem von einem desertierten GI gegründeten pseudoreligiösen Gegenstaat zu konfrontieren. Décadence, gesellschaftlicher Verfall, Religionsverlust und Pseudoreligion sind, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, zumal bei Goll und Houellebecq Kernmotive von Untergangsphantasien.
Offline lesen: