Open Access

Warum Academia.edu? Eine Replik

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Mit dem folgenden Beitrag möchte der Verfasser, Christof Schöch, auf den sehr lesenswerten Artikel von Jan Söffner mit dem Titel „Warum Academia.edu? Eine Gebrauchsanweisung“ (Romanische Studien 3, 2016) reagieren und ihn um eine medienkritische Perspektive ergänzen.

Zunächst einmal liegt mir daran hervorzuheben, wie dankbar ich Jan Söffner dafür bin, das Thema akademischer sozialer Netzwerke mit seinem Beitrag der romanistischen Leserschaft näher gebracht zu haben. Die Sichtbarkeit der Romanistik in akademisch orientierten, internet-basierten Medien ist nach wie vor ihrer bedeutenden Rolle in Forschung und Lehre nicht entsprechend. Und akademische soziale Netzwerke wie Academia.edu sind in der Tat ein nützliches Werkzeug, um romanistische Forschung sichtbar und die eigenen Kompetenzen auffindbar zu machen sowie Forschende mit ähnlichen Interessen weltweit zu identifizieren und das eigene Netzwerk um eine digitale Komponente zu erweitern. Schließlich mag es sogar zu inhaltlichen Diskussionen auf der Plattform kommen. Insofern ist es wichtig, dass auch wir RomanistInnen den Umgang mit solchen Plattformen lernen.

Dennoch kommt mir in dem Artikel eine medienkritische Perspektive und eine Kontextualisierung in aktuellen Debatten zur Wissenschaftskommunikation etwas zu kurz, die einige zentrale Praktiken (und dahinter stehende Motive) von Academia.edu (und ähnlichen Plattformen) beleuchten und hinterfragen würde.

Das von Jan Söffner beschriebene Hochladen von Forschungsarbeiten ist eine Möglichkeit, eigene Beiträge Anderen zur Verfügung zu stellen, die vielleicht über ihre Heimatinstitution keinen Zugang dazu haben oder die schlicht keine Heimatinstitution haben. Oder auch, um Beiträgen die Chance auf mehr Aufmerksamkeit zu geben, die vielleicht in einem Sammelband schlummern, der seinen Weg nicht in alle Bibliotheken gefunden hat.

Diese Praxis ist allerdings nicht nur in einer von Jan Söffner beschriebenen urheberrechtlichen Grauzone angesiedelt. Sie entspricht vor allem nicht einer wirklich wissenschaftsadäquaten Form der Wissenschaftskommunikation. Vielmehr folgt der Modus des Austauschs wissenschaftlicher Publikationen auf Academia.edu eben primär ökonomischen Interessen der Plattform. Denn hochgeladene Forschungsbeiträge sind auf Academia.edu nicht frei im Sinne des „Open Access“ verfügbar. So kann man Beiträge erst herunterladen, nachdem man sich selbst bei Academia.edu angemeldet hat. Und man bezahlt gewissermaßen mit seinen persönlichen Daten (wie bei vielen scheinbar kostenlosen Angeboten im Internet) und sollte sich dessen bewußt sein.

Auch im Klaren sollte man sich darüber sein, welche Rechte man mit dem Hochladen bei Academia.edu den Betreibern der Plattform einräumt. Die Nutzungsbedingungen („Terms“) sind in dieser Hinsicht recht eindeutig.[1] Diese weit reichenden Rechte schließen die zeitlich unbegrenzte Veröffentlichung der Beiträge auch in modifizierter Form ein und zwar kostenlos für die Betreiber, aber ohne Einschränkung hinsichtlich der Vermarktung durch diese. Anders ausgedrückt: Die Forschenden liefern kostenlos nicht nur die Nutzungsdaten, sondern auch die Inhalte, mit denen Academia.edu Geld verdienen kann. Und sie machen die derzeitige, eigentlich untragbare Situation im wissenschaftlichen Publikationswesen ertragbar, weil sie das Urheberrecht umgehen, statt seine Veränderung zu fördern.

Die auf angemeldete NutzerInnen begrenzte Verfügbarkeit hat allerdings nur vordergründig eine urheberrechtliche Motivation. In der Tat könnte man argumentieren, dass man die Beiträge auf der Plattform ja nicht veröffentlicht, sondern nur seinem (allerdings recht großen) Freundeskreis zur Verfügung stellt. Allerdings sichert man Academia.edu mit dem Hochladen (durch die Nutzungsbedingungen) ebenfalls zu, dass man alle notwendigen Rechte an den hochgeladenen Beiträgen besitzt. Wenn das dann in manchen Fällen eben doch nicht der Fall sein sollte, befinden sich nur die NutzerInnen in einer urheberrechtlichten Grauzone, nicht aber Academia.edu. Die eigentliche Motivation für diese Regelung ist aber auch darin zu suchen, dass dieses Modell das Wachsen der Plattform garantiert, denn viele Forschende werden sich vor allem deswegen anmelden, weil sie einen bestimmten Forschungsbeitrag kostenlos herunterladen wollen.

Es sollte niemanden wundern, dass Academia.edu handfeste ökonomische Interessen verfolgt, sei es über die hochgeladenen Inhalte, sei es mit der Vermarktung von Nutzerdaten, sei es direkt von den NutzerInnen selbst. Die Internet-Adresse, die auf „.edu“ endet, ist hier in höchstem Maße irreleitend, wie ein Interview des Scientific American mit Richard Price, dem CEO der Plattform zeigt. Dies hat bereits eine intensive Debatte um die Plattform ausgelöst, die sich vor allem um das problematische Verhältnis von Academia.edu zu Prinzipien des „Open Access“ und die ökonomischen Interessen der Betreiber drehte.[2] Und es hat sich erneut im Januar 2016 eindrucksvoll gezeigt.

Zuletzt ging es kurz gesagt darum, dass Academia.edu begonnen hat, einerseits sogenannte „editors“ aus dem Kreis der NutzerInnen zu rekrutieren, die besonders relevante Inhalte auf der Plattform hervorheben können, und andererseits einzelne NutzerInnen anzufragen, ob sie bereit wären, für eine solche bevorzugte Behandlung auf der Plattform Geld zu bezahlen. Letztere Möglichkeit wurde angesichts des kritischen Echos allerdings zumindest vorübergehend wieder zurückgezogen. (Siehe hierzu u.a. den Beitrag von Corinne Ruff im Chronicle of Higher Education und die entsprechende Diskussion auf Twitter unter dem Hashtag #DeleteAcademiaEdu.) Das bedeutet, dass die hochgeladenen Inhalte nun nicht mehr nur nach (ohnehin algorithmisch definierten und intransparenten) inhaltlichen Kriterien anderen NutzerInnen empfohlen werden, sondern auch nach anderen, nicht weiter definierten, eventuell aber auch finanziellen Kriterien. Das ist dann aber wirklich keine offene, wissenschaftsadäquate Kommunikation von Forschung mehr.

Was also tun? Sich auf die etablierten Tugenden des Printmediums, der Konferenzdebatten und der persönlichen Kontakte zurückziehen und das digitale Feld den Skrupelloseren unter den Forschenden überlassen? Sicherlich nicht! Aus meiner Perspektive, die von der Überzeugung geprägt ist, dass die Vorteile des Digitalen und des Open Access zum Nutzen der Forschenden einzusetzen und zu fördern sind, könnte folgende Strategie einen sinnvollen Kompromiss darstellen:

  • Erstens sollten bei der Publikation von (gedruckten oder digitalen) Beiträgen, die nicht ohnehin direkt im „Open Access“ erscheinen, die Rechte bei den AutorInnen verbleiben, statt umfassend an die Verlage abgetreten zu werden und eine digitale Publikation in echtem „Open Access“ sobald wie möglich erlaubt sein.
  • Das erlaubt es dann zweitens (sofort als „preprint“ oder nach einer gewissen Embargo-Frist) die eigenen Beiträge in einem institutionellen Repositorium (wie sie die Heimatinstitutionen in der Regel anbieten) oder bei einem unabhängigen, nicht-kommerziellen Repositorium wie der französischen Plattform HAL  oder bei der europäischen Plattform Zenodo.org frei zugänglich zu machen. Die Beiträge sind dann im Übrigen nicht nur über Internet-Suchmaschinen, sondern auch über Bibliothekskataloge auffindbar.
  • Dies erlaubt es dann drittens, im eigenen Profil von Academia.edu nicht die Beiträge selbst hochzuladen, sondern auf die entsprechende Einträge im Repositorium lediglich zu verlinken. So kann man sein Profil vervollständigen, können andere Forschenden die Beiträge finden und ist eine Diskussion über die Beiträge auf der Plattform möglich, ohne dass man Academia.edu aber die Vermarktung der Beiträge einräumen muss. Und alle Interessierten können die Beiträge einsehen, auch ohne Anmeldung auf irgendeiner Plattform.

Das bedeutet natürlich etwas mehr Mühe, als einfach alles direkt bei Academia.edu einzustellen. Das sollte aber kein Grund sein, die in unserem Fach so wichtige medienkritische Perspektive nicht auch in die eigene, professionelle und reflektierte Nutzung des digitalen Mediums einfließen zu lassen.

Anmerkungen
[1] „By making any Member Content available through the Site or Services, you hereby grant to Academia.edu a worldwide, non-exclusive, transferable, sublicenseable, perpetual, royalty-free license to reproduce, modify for formatting purposes, prepare derivative works based upon, publicly display, publicly perform, distribute, and otherwise use your Member Content in connection with operating and providing the Services and Content to you and to other Members.“ (https://www.academia.edu/terms).
[2] Siehe u.a. die verschiedenen Beiträge von Martin Paul Eve (Gründer der Open Library of Humanities), Kathleen Fitzgerald (Director of Scholarly Communication bei der MLA) oder Gary Hall (Gründer von Open Humanities Press). [Nachtrag des Autors vom 12.4.2016: Siehe ebenfalls nun das Dossier „The Academia.edu Files“ bei liquidbooks.]

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