Monteverdis Madrigale
Rezension von Katelijne Schiltz: „Die Vielschichtigkeit der oratione in Claudio Monteverdis Madrigalœuvre: Über Christophe Georis’ Monographie Claudio Monteverdi letterato ou les métamorphoses du texte“, im kommenden Heft der Romanischen Studien
Hor che ’l ciel e la terra e ’l vento tace,
e le fere, e gli augelli il sonno affrena,
Notte il carro stellato in giro mena,
e nel suo letto il mar senz’onda giace;
veglio, penso, ardo, piango; e chi mi sface,
sempre m’è innanzi per mia dolce pena:
guerra è il mio stato, d’ira e di duol piena;
e sol di lei pensando, ho qualche pace.
Così sol d’una chiara fonte viva
move il dolce e l’amaro ond’io mi pasco:
una man sola mi risana e punge;
e perché il mio martir non giunga a riva,
mille volte il dì moro, e mille nasco,
tanto della salute mia son lunge.
Francesco Petrarca, Sonett „Hor che ’l ciel“, R.V.F. 164
Auszug aus der Rezension:
Angesichts des von Claudio Monteverdi in einem Brief vom 9. Dezember 1616 geäußerten Statements „questa professione della poesia non è mia“, mag der Titel von Christophe Georis’ 2013 erschienener Monographie überraschen. Denn wie kann Monteverdi (1567–1643), der wie kein anderer Komponist den Übergang von der Renaissance zum Barock verkörpert, als letterato gelten? (Die Pluralität der Bedeutungen des italienischen Terminus – Literat, gelehrt, belesen – wird auch hier zunächst einmal stehen gelassen.) In seinem Manifest für die seconda pratica plädierte Monteverdi zwar mit dem mittlerweile berühmten Motto „l’oratione sia padrona del armonia e non serva“ für die Vorrangstellung der oratione (zur genauen Bedeutung dieses Terminus s. unten) über die armonia und legitimierte somit angebliche Regelverletzungen des klassischen Kontrapunkts (von ihm als prima pratica bezeichnet), aber als Dichter trat er nie in Erscheinung.
Die in der Einleitung zu Georis’ Buch zitierte Aussage von Angelo Grillo, das musikalisch vertonte Gedicht sei wie ein Phönix – es stirbt und wird wieder geboren –, dürfte den Kern der Studie ziemlich genau treffen. Georis betrachtet Monteverdis Madrigalbücher in erster Linie nicht als musikalisches Œuvre, sondern er lenkt den Fokus dezidiert auf die vertonten Texte. Er ist nicht der erste, der dies tut, aber hier geschieht das zum ersten Mal systematisch und unter Einbeziehung aller Madrigalbücher: Vor dem Hintergrund sowohl der einzelnen Texte (diese werden als „microtexte“ bezeichnet) als auch der Struktur des jeweiligen Gesamtbuchs (der „macrotexte“) untersucht er die literarischen Entscheidungen des Komponisten: von der Auswahl des Dichters und des Gedichts über die unterschiedlichsten Adaptionen der Vorlage (durch Weglassung, Hinzufügung, Extraktion, Substitution usw.) bis hin zur Platzierung des Stückes innerhalb der Sammlung. Durch „Monteverdi letterato“ will Georis – so könnte die These der Monographie lauten – „Monteverdi musico“ besser verstehen.
Den Grundstein für diese Studie scheint Georis vor ungefähr fünfzehn Jahren gelegt zu haben: In dem Aufsatz „Métamorphose du texte: musique et poésie chez Monteverdi“ thematisierte er anhand eines Madrigals aus Monteverdis achtem Madrigalbuch den Umgang des Komponisten mit dem Text. Der Begriff „réécriture“ nimmt auch in der Monographie eine zentrale Stellung an. Für Monteverdis Neuformulierungen/Neufassungen von Gedichten, in denen teilweise die Syntax und die Prosodie respektiert werden und er teilweise dagegen verstößt, gibt es laut Georis mehrere Gründe. Er unterscheidet im dritten Kapitel (57–78) vier Kategorien bzw. Strategien der „réécriture“ und belegt diese mit zahlreichen Beispielen: literarisch (hier wird nochmal zwischen „coupures“ und „substitutions“ unterschieden), musikalisch (insb. wenn das prosodische Schema eines Gedichts durch eine musikalische Segmentierung verändert wird, wie z. B. in Vago augelletto aus dem achten Madrigalbuch), repräsentativ (dies ist oft bei monodischen Passagen ab dem fünften Buch der Fall; in Giambattista Marinos Misero, Alceo [Buch 6] werden mehrere Pronomina geändert) und metadiskursiv (wenn Monteverdi etwa die Betonung auf die Kunst der Musik oder des Singens – statt des Dichtens – lenken will; in Zefiro torna ändert er gleich am Anfang die „soavi odori“ in „soave accenti“). Gleichzeitig muss bei der Kartierung von „réécritures“ dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es bereits bei der Überlieferung des literarischen Textes zu einer Variabilität kommen kann. Denn die Frage, ob eine Variante dem Komponisten oder einer unbekannten bzw. verloren gegangenen Version zuzuschreiben ist, kann nicht immer eindeutig beantwortet werden.
Die vollständige Rezension im kommenden Heft
der Romanischen Studien
Ill.: Briefmarke zum 350. Todestag von Claudio Monteverdi (1567—1643)