Portugal und Spanien: 30 Jahre Europa

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Teresa Pinheiro, „Portugal und Spanien – 30 Jahre Europa“, Romanische Studien 5 (2016), Vorabauszug

Am 1. Januar 2016 jährte sich die Mitgliedschaft Portugals und Spaniens im Europäischen Klub zum 30. Mal. Im Unterschied zu vergangenen runden Jubiläen war diesmal die feierliche Stimmung verhalten. Auf der einen Seite verlassen beide Länder nur langsam die Talsohle einer wirtschaftlichen Rezession, die Zweifel ob der Richtigkeit der Aufnahme in die Euro-Zone aufkommen ließ; auf der anderen Seite hat die Europäische Union selbst wenig Anlass, mit Genugtuung auf die Vergangenheit zurückzublicken, zu sehr fordern Flüchtlingskrise, Terrorgefahr und Eurokrise den Staatenbund. Europa – die Grande Dame des 20. Jahrhunderts, die noch 2012 mit dem Friedensnobelpreis honoriert wurde – plagt eine Midlife-Crisis.

Dabei hilft gerade in Krisenzeiten der Blick zurück, um das Bewusstsein für den historischen Prozess der europäischen Integration zu schärfen. Der vorliegende Artikel lädt ein, in die Vergangenheit zurückzugehen, um Portugals und Spaniens Weg nach Europa nachzuvollziehen. Der Süderweiterung lagen bereits Jahrzehnte der zaghaften Annäherung zwischen den iberischen Staaten und den in der Nachkriegszeit entstandenen europäischen Institutionen zugrunde. Die erste Sektion des Beitrags – Iberien und Europa: Erste Annäherungen – zeichnet diesen Annäherungsprozess zwischen den iberischen Staaten und Europa nach, der von gegenseitigem Misstrauen geprägt war. Und auch mit Beginn der Beitrittsverhandlungen 1977 endete das Misstrauen nicht. Im Gegenteil: Die Gewissheit, dass nun Spanien und Portugal früher oder später die volle Mitgliedschaft in den Europäischen Gemeinschaften erlangen würden, führte zu langwierigen und verhärteten Verhandlungen mit den zehn Mitgliedsstaaten, bis schließlich am 12. Juni 1985 beide Länder parallel den Beitrittsvertrag unterzeichneten. Den Mäandern dieses Prozesses ist die zweite Sektion – Zehrende Verhandlungen – gewidmet. Eine dritte Sektion – Bilanz – blickt auf 30 Jahre EU-Mitgliedschaft Portugals und Spaniens zurück. Der Rückblick verdeutlicht, dass der erfolgreiche Demokratisierungs- und Modernisierungsprozess, den beide Staaten in den vergangenen drei Jahrzehnten durchliefen, zu einem großen Teil ihrer zunehmenden Integration in die europäischen und internationalen Institutionen zu verdanken ist. Dies vermag zu erklären, warum in den iberischen Staaten vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Beitritt das europäische Projekt mit großer Akzeptanz aufgenommen wurde.1

Iberia und Europa: Erste Annäherungen

Als 1977 die Europäischen Gemeinschaften bilaterale Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal aufnahmen, waren beide Staaten für das Europa nördlich der Pyrenäen keine völligen Unbekannten. Auf gesellschaftlicher Ebene fand vor allem ab den 1960er Jahren ein reger Austausch dies- und jenseits der Pyrenäen statt. Allein zwischen 1960 und 1973 sind jeweils etwa eine Million spanische und portugiesische Arbeitnehmer nach Frankreich, Luxemburg, Deutschland und in andere industrialisierte Länder Europas ausgewandert, wo sie zum Aufbau der Wohlstandsgesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg beitrugen; umgekehrt folgten mittel- und nordeuropäische Urlauber den Kampagnen vor allem seitens des spanischen Tourismusministeriums und entdeckten die Iberische Halbinsel als exotisches Urlaubsziel.2

Ebenfalls auf politischer Ebene waren Portugal und Spanien weit weniger von den westlichen Institutionen isoliert als oft angenommen. Das Verhältnis zwischen den iberischen Diktaturen und den westlichen Institutionen zwischen Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nelkenrevolution entfaltete sich entlang einer Gratwanderung zwischen gegenseitiger ideologischer Ablehnung und geostrategischer Notwendigkeit. Freilich beharrte António de Oliveira Salazar, Premier-Minister Portugals von 1932 bis 1968 und Ideologe der Diktatur des Estado Novo, auf der atlantischen Bestimmung Portugals und meinte damit eine Autarkie, die im kolonialen Besitz in Afrika, Indien und Osttimor eine ihrer ideologischen Säulen hatte und in der Neutralitätspolitik während des Zweiten Weltkriegs ihren tagespolitischen Ausdruck fand. Freilich verfolgte ebenfalls Francisco Franco, der Spanien vom Ende des Bürgerkriegs 1939 bis zu seinem Tod 1975 autoritär regierte, vor allem im ersten Jahrzehnt der Diktatur eine Autarkiepolitik. Dennoch sorgten der Kontext des Kalten Kriegs auf der einen und die wirtschaftliche Not in beiden iberischen Staaten auf der anderen Seite für realpolitische Annäherungsversuche an Europa und den Westen.

Im Falle Portugals hat vor allem die geostrategische Bedeutung der Azoren im Kontext des Ost-West-Konflikts dazu beigetragen, dass das Land den Anschluss an die Institutionen des demokratischen Westens fand. So beantragte Portugal nach anfänglichem Zögern im September 1948 Zuwendungen aus dem Marshall-Plan.3 Genau im selben Jahr unterzeichneten die USA und Portugal das Lajes-Abkommen, das den USA die Nutzung der portugiesischen Militärbasis von Lajes auf der Insel Terceira, Azoren, ermöglichte. Diese Kooperation ebnete Portugals Integration in das westliche Verteidigungssystem, so dass es 1949 als eines von zwölf Mitgliedern der Gründung der NATO zustimmte.4 In Übereinstimmung mit der militärischen und wirtschaftlichen Kooperation mit den USA auf der Basis des Lajes-Abkommens und des Marshall-Plans war Portugal ebenfalls Gründungsmitglied der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit (1948), der Europäische Zahlungsunion (1950), des Europäischen Währungsabkommens (1955) und der Europäischen Freihandelsassoziation (1960); zudem wurde es 1955 in die Vereinten Nationen, 1960 in den Internationalen Währungsfonds und 1962 ins Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen aufgenommen.5 Über die geostrategische Bedeutung hinaus trug auch die ideologische Verhärtung des Ost-West-Konflikts dazu bei, dass Portugal trotz des undemokratischen Charakters des Estado Novo in die westliche Welt aufgenommen wurde, schließlich machte der Antikommunismus das rechtskonservative autoritäre Regime von Salazar anschlussfähig an den Westblock.

Portugals Eingliederung in die internationalen Institutionen blieb jedoch nicht immer frei von Konflikten. Hierbei spielte weniger der undemokratische Charakter des Estado Novo eine Rolle als vielmehr die Tatsache, dass Salazar keine Anstrengungen unternahm, die Kolonien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Im Gegenteil: Als die Nachricht über erste Widerstandsaktionen seitens der Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonien das Mutterland erreichte, antwortete die portugiesische Führung mit militärischer Gewalt. Von 1961 bis 1974 führte die mittlerweile älteste Kolonialmacht Europas einen Krieg an drei Fronten in Afrika: Angola, Mosambik und Guinea-Bissau. Die koloniale Frage überschattete Portugals Präsenz vor allem bei den Vereinten Nationen. Zwar wurde das Land bereits 1955 (mit der Gegenstimme der UdSSR) aufgenommen, doch trugen vor allem die Aufnahme von siebzehn neu gegründeten afrikanischen Staaten in die UNO im Jahre 1960 sowie der Beginn des Kolonialkriegs ein Jahr später zum offenen Konflikt zwischen einer Mehrheit der Mitgliedstaaten und Portugal bei. Der Konflikt entfachte sich um Artikel 73 der Charta der Vereinten Nationen und damit um die Legitimation Portugals, die Territorien in Afrika zu unterhalten.6 Für die NATO-Mitglieder, allen voran die USA der Ära Kennedy, wurde die koloniale Frage zu einer verhängnisvollen Angelegenheit, da Portugals Verbleib im Atlantischen Pakt angesichts des Ost-West-Konflikts Priorität hatte. So blieben die Sanktionen auf öffentliche Verurteilungen und wenig effektive Embargos beschränkt.7

Ähnlich ambivalent gestaltete sich die Annäherung Portugals an die europäischen Institutionen stricto sensu, die ab den 1950er Jahren entstanden. Portugal wurde weder in die Montanunion (1951) noch in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (1957) aufgenommen; auch bei der Planung der später gescheiterten Europäischen Politischen Gemeinschaft und Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wurde Portugal nicht einbezogen. Dies beruhte auf einer gegenseitigen Ablehnungshaltung: Zum einen erfüllte Portugal weder politisch noch wirtschaftlich die Voraussetzungen für eine europäische Integration; zum anderen stand Salazar der Entstehung einer europäischen wirtschaftlichen und vor allem politischen Gemeinschaft skeptisch gegenüber. In einem an die Botschaften gesandten Papier vom 6. März 1953 machte Salazar deutlich, dass eine politische Föderation auf europäischer Ebene nicht nur unwahrscheinlich sei, sondern auch für Portugal nicht von Interesse sein könne, da es für das Land vielmehr in einer lusophonen Gemeinschaft mit Afrika und Brasilien zukünftige Kooperationsmöglichkeiten gebe.8 Gleichwohl ignorierte Salazar die Entwicklungen auf dem europäischen Tableau keineswegs. In dem erwähnten Schreiben an die Botschaften lässt sich diese ambivalente Haltung zwischen Ablehnung und Abwarten herauslesen:

Por felicidade, os Pirinéus são geograficamente um elemento de tanto relevo que permite à Península não ser absorvida ou decisivamente influenciada pelo peso da nova organização, mas aguardar e ver.9

Als Ausdruck dieser politischen Haltung des Abwartens lässt sich Portugals überraschender Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) als Gründungsmitglied im Jahre 1960 betrachten. Die Verhandlungen über eine Freihandelszone in Europa kamen zu einer Zeit, in der Portugals wirtschaftliche Autarkie an ihre Grenzen gestoßen war, denn spätestens mit Beginn des Afrikakriegs war der koloniale Absatzmarkt gestört.10 Die Entstehung einer Freihandelszone auf europäischer Ebene versprach eine willkommene Alternative hierzu. Die dazu notwendige marktorientierte Anpassung der Wirtschaft hatte bereits in den 1950er Jahren eingesetzt: Zwischen 1953 und 1964 führte Salazar zwei wirtschaftliche Entwicklungspläne zur Liberalisierung der portugiesischen Wirtschaft ein, die zur Öffnung des Landes für ausländische Investoren beitragen sollten. Da Europa ohnehin den Hauptexportraum der portugiesischen Industrie ausmachte, unternahm die portugiesische Diplomatie große Anstrengungen, um in die Freie Handelszone einbezogen zu werden, was schließlich durch die Unterstützung des alten Alliierten Großbritanniens glückte.11 Portugals überraschende Aufnahme in die EFTA als Mitglied der ersten Stunde brachte eine Phase des wirtschaftlichen Wachstums für das Land.12

Die Dynamik der EG-EFTA-Konkurrenz und Großbritanniens Rolle darin beeinflussten Portugals nächsten Annäherungsschritt an Europa, der 1972 mit der Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit den Europäischen Gemeinschaften kulminierte. Der Antrag Großbritanniens auf Beitritt in die EG 1961 stellte Portugal unter Zugzwang. Doch das französische Veto gegen den Beitritt Großbritanniens vereitelte die ohnehin geringen Chancen Portugals auf Aufnahme in die EG. Erst mit der erneuten Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen den EG und Großbritannien in der Haager Gipfelkonferenz 1969 nahm Portugal die Gespräche mit den Europäischen Gemeinschaften wieder auf. Da ein Beitritt aufgrund des undemokratischen und kolonialistischen Charakters des portugiesischen Regimes ausgeschlossen erschien, Portugal aber bereits EFTA-Mitglied war, konnte 1972 ein Freihandelsabkommen mit den Europäischen Gemeinschaften unterzeichnet werden. Das Freihandelsabkommen entsprach auch eher der Linie von Marcelo Caetano, Salazars Nachfolger ab 1968, der ebenfalls die wirtschaftliche Öffnung des Landes zum europäischen Markt befürwortete, ohne jedoch die notwendigen politischen Konzessionen machen zu müssen, die für eine volle Mitgliedschaft notwendig gewesen wären. Es wurde sowohl für die Regierung als auch für die Opposition deutlich, dass eine volle Mitgliedschaft in den EG nur unter der Bedingung der Demokratisierung und der Dekolonisierung stattfinden könnte.

Anders als Portugal blieb Spanien insbesondere bis Ende der 1950er Jahre im internationalen Kontext isoliert, was in erster Linie ein Ergebnis der Sanktionspolitik als Reaktion auf die repressive Politik des Franquismus in den Jahren nach dem Bürgerkrieg war. Als Francos Truppen am 1. April 1939 in Madrid einzogen, war der Spanische Bürgerkrieg nur offiziell zu Ende. De facto setzte mit der Etablierung des Franquismus eine Zeit der Durchsetzung der Macht ein, geprägt von Verfolgung und Hinrichtung derjenigen, die auf der Seite der Volksfront im Konflikt gekämpft hatten.13 Zwar verstieß die franquistische Diktatur nach dem Zweiten Weltkrieg gegen das sich im Westen durchsetzende Modell der Demokratie genauso wie der portugiesische Estado Novo; Spanien geriet jedoch stärker ins Visier der internationalen Diplomatie aufgrund der offensichtlichen Missachtung der Menschenrechte in den ersten zehn Jahren nach Ende des Bürgerkriegs. Außerdem wurde Spaniens Unterstützung der Achse im Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis in der Neuordnung des Westens in der Nachkriegszeit. So lehnte die UNO nicht nur eine Mitgliedschaft Spaniens ab, sondern verurteilte das Regime mit einer Resolution von 1946 offiziell und empfahl Spaniens Ausgrenzung aus den internationalen Organisationen.14 Mit Ausnahme des Heiligen Stuhls, Portugals, Argentiniens und der Schweiz brachen alle Staaten die diplomatischen Beziehungen mit Spanien ab.15

Auch die spanische Wirtschaft bekam die internationale Isolation zu spüren. Obwohl das Land nach dem zerstörerischen Bürgerkrieg auf fremde Subventionen angewiesen gewesen wäre, erhielt Spanien keine Zuwendungen aus dem Marshall-Plan.16 Ohne erwähnenswerte ausländische Hilfen und Investitionen fristete die Wirtschaft eine bescheidene Existenz mit zaghaften Industrialisierungsschüben auf der Basis von niedrigen Löhnen.17 Dieser erzwungenen Isolation entsprach auch eine ideologische Distanzierung Spaniens gegenüber den Entwicklungen auf europäischer Ebene. Ähnlich wie Salazar rechnete die spanische Führung der Gründung der europäischen Institutionen keine Zukunft an.18 Aber ähnlich wie in Portugal bedeutete die offizielle Geringschätzung für den Prozess europäischer Integration auch in Spanien nicht, dass die Regierung nicht durchaus aufmerksam beobachtete, wie sich das europäische Projekt entwickelte. Die voranschreitende Schaffung eines europäischen Binnenmarkts gepaart mit dem weiteren Verlust wirtschaftlicher Kraft Spaniens durch die internationale Isolation machte eine Annäherung an Europa unumgänglich. Ab den 1950er Jahren entspannte sich die internationale Isolation Spaniens: 1953 konnte ein Abkommen mit den USA zur Benutzung militärischer Basen in Spanien abgeschlossen werden und 1955 wurde das Land zusammen mit Portugal in die Vereinten Nationen aufgenommen.19

Um eine stärkere Einbindung Spaniens in die internationalen Märkte voranzutreiben, setzte Franco ab den 1950er Jahren eine Gruppe von Politikern in Schlüsselministerien ein, die zwar ideologisch konservativ waren, wirtschaftlich jedoch eine liberale Politik betrieben. Diese sogenannten Technokraten brachten – ähnlich wie in Portugal zur gleichen Zeit – eine Anpassung der spanischen Wirtschaft an marktwirtschaftliche Standards und ihre Öffnung für ausländische Investoren. Ein Plan zur Neuordnung der Wirtschaft – bekannt als Stabilisierungsplan – sorgte ab 1959 für die Umsetzung wirtschaftsliberalisierender Maßnahmen. Im Kontext dieser Liberalisierungsbestrebungen trat Spanien 1958 der OEEC und dem IWF bei.20 Diese Reformen brachten ein enormes Wachstum für die spanische Wirtschaft: Ähnlich wie Portugal verzeichnete die spanische Wirtschaft ein Wachstum von jährlich sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts.21

Der folgerichtige Schritt einer Integration Spaniens in den europäischen Binnenmarkt wäre der Beitritt zur EFTA gewesen. Da die EFTA ein rein wirtschaftlicher Verbund war, hätte Spanien die Beitrittskriterien leichter erfüllen können als bei den Europäischen Gemeinschaften, deren Beitritt auch an politische Kriterien gekoppelt war. Doch sprach aus spanischer Sicht vor allem ein Faktor dafür, dass die Mitgliedschaft in den EG attraktiver war, nämlich die Agrarpolitik. Während die EFTA den Freihandel auf Industrieerzeugnisse beschränkte, war die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik innerhalb der EG bereits bei der Gründung vereinbart worden und trat 1962 in Kraft. Für Spanien, dessen Wirtschaft trotz des Industrialisierungschubs der 1960er Jahre immer noch hauptsächlich auf den Export von landwirtschaftlichen Produkten angewiesen war, hätte ein Ausschluss aus dem europäischen Agrarmarkt verheerende Folgen mit sich gebracht. In der Folge stellte die spanische Regierung einen Antrag auf Aufnahme von Gesprächen, um das Verhältnis zwischen Spanien und den EG zu formalisieren. Wie im Falle Portugals geriet auch Spaniens Gesuch in den Trubel des französischen Vetos gegen den EG-Beitritt Großbritanniens im Jahre 1963. Erst 1964 wurden die Gespräche aufgenommen und im Sommer 1966 abgeschlossen. Das Ergebnis blieb weit entfernt von Spaniens Ambitionen: Das erwünschte Assoziierungsabkommen mit Aussicht auf volle Mitgliedschaft scheiterte an den undemokratischen Strukturen des franquistischen Regimes. Stattdessen eröffnete die Kommission Aussichten auf Verhandlungen über ein Präferenzabkommen. Die Verhandlungen waren zäh, was hauptsächlich daran lag, dass Spanien den Abbau von Zollschranken nicht nur für Industrieerzeugnisse sondern auch für landwirtschaftliche Produkte wünschte, die EG ihrerseits die Konkurrenz der günstigen und qualitativ hochwertigen Agrarprodukte aus Spanien fürchteten – ein Konflikt, der später ebenfalls die Beitrittsverhandlungen überschatten würde. Am Ende gelang ein komplexes und differenziertes Abkommen, das für die Mitglieder der EG die Zufuhr spanischer Produkte behutsam abfederte und für Spanien hauptsächlich den Vorteil brachte, das Regime durch die Angliederung an die EG politisch zu legitimieren. Das Präferenzabkommen zwischen Spanien und den EG trat am 1. Oktober 1970 in Kraft.22

Ende des Auszugs,
vollst. Artikel in Heft 5 (2016) der Romanischen Studien

 


  1. Fernando Morán, der zwischen 1982 und 1985 Außenminister Spaniens war, sprach sogar vom spanischen Phänomen eines ‚akritischen Europäismus‘ (Europeísmo acrítico) und meinte damit, dass Europa für weite Teile der spanischen Gesellschaft und Politik direkt nach dem Beitritt nicht mehr nur eine politische Option war, sondern zu einer regelrechten Ideologie wurde – vgl. Fernando Morán, España en su sítio (Barcelona: Actualidad y Libros, 1990). Zur Akzeptanz Europas in Portugal vgl. Marina Costa Lobo, „Still Second-Order? European Parliament Elections in Portugal“, in Contemporary Portugal: Politics, Society and Culture, hrsg. von António Costa Pinto (New York: Columbia University Press, 2011), 249–73, hier 249.
  2. Vgl. Stefan A. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft: der schwierige Weg zur Mitgliedschaft (Bonn: Europa-Union, 1977), 32.
  3. Vgl. Maria Fernanda Rollo, „Portugal e o Plano Marschall: história de uma adesão a contra-gosto (1947–52)“, Análise Social 29, Nr. 128 (1994): 841–69, hier 841.
  4. Vgl. António Costa Pinto und Nuno Severiano Teixeira, „From Africa to Europe: Portugal and European Integration“, in Southern Europe and the Making of the European Union, hrsg. von António Costa Pinto und Nuno Severiano Teixeira (Boulder, Colo: Social Science Monographs, 2002), 3–40, hier 16; Rui Lourenço Amaral de Almeida, Portugal e a Europa: Ideias, Factos e Desafios (Lisboa: Sílabo, 2005), 270.
  5. Vgl. Pinto und Teixeira, „From Africa to Europe“, 8–9.
  6. Die Umbenennung des Kolonialbesitzes in der Verfassung von ‚Kolonien‘ in ‚Überseeprovinzen‘, die mit der Verfassungsänderung von 1951 vollzogen wurde, antizipierte den internationalen Widerstand gegen Portugals Herrschaft in Afrika und Ost-Timor. Die Umbenennung sollte den unzertrennlichen Charakter dieser Territorien als Hoheitsgebiete des portugiesischen Staates verdeutlichen. Als sich der Generalsekretär der UNO im Jahre 1955 bei der portugiesischen Regierung erkundigte, ob Portugal koloniale Territorien im Sinne des Artikels 73 besaß, konnte Salazar die Frage mit Verweis auf die Verfassung verneinen. Vgl. Fernando Rosas, Portugal e o Estado Novo (1930–1960) (Lisboa: Presença, 1990), 115.
  7. Vgl. António E. Duarte Silva, „O litígio entre Portugal e a ONU (1960–74)“, Análise Social 30, Nr. 130 (1995): 5–50.
  8. Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 10.
  9. António de Oliveira Salazar, „Circular confidencial enviada às embaixadas e delegações de Portugal, definindo a posição a seguir em matéria europeia (6 Março 1953)“, in Serviço de Arquivo Histórico-Diplomático (Lisboa: Ministério dos Negócios Estrangeiros, 1953), PEA, 309. Zu Deutsch: „Zum Glück sind die Pyrenäen geographisch bedeutsam genug, als dass die Iberische Halbinsel von den neuen Organisationen weder vereinnahmt, noch entscheidend beeinflusst werden könnte. Aber: abwarten und sehen, was passiert.“, Übersetzung T. P.
  10. Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 10.
  11. Vgl. Nicolau Andresen-Leitão, „O convidado inesperado: Portugal e a fundação da EFTA, 1956–60“, Análise Social 39, Nr. 171 (2004): 285–312.
  12. Vgl. Costa und Teixeira, „From Africa to Europe“, 15.
  13. Vgl. Paul Preston, El holocausto españo: Odio y extreminio en la Guerra Civil y después (Barcelona: Debate, 2011), 615.
  14. Vgl. Juan Carlos Pereira Castañares und Antonio Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, in Southern Europe, hrsg. von Pinto und Teixeira, 41–80, hier 58.
  15. Vgl. Juan Pablo Fusi und Jordi Palafox, España: 1808–1996: El desafío de la modernidad (Madrid: Espasa, 1997), 304.
  16. Vgl. Ricardo Martín de la Guardia, „In search of lost Europe: Spain“, in European Union Enlargement: a comparative history, hrsg. von Wolfgang Kaiser und Jürgen Elvert (London: Routledge, 2004), 93–111, hier 101.
  17. Vgl. Pereira Castañares und Moreno Juste, „Spain: in the centre or on the periphery of Europe?“, 49.
  18. Vgl. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 47.
  19. Vgl. de la Guardia, „In search of lost Europe: Spain“, 101.
  20. Vgl. Fusi und Palafox, España: 1808–1996, 345; Joaquín Muns Albuixech, „España y el Fondo Monetario Internacional (FMI)“, Economistas 19, Nr. 90 (2001): 20–6, hier 20.
  21. Vgl. Musto, Spanien und die Europäische Gemeinschaft, 31.
  22. Vgl. Miren Etxezarreta, Hrsg., La Reestructuración del capitalismo en España, 1970–1990 (Barcelona: Icaria, 1991), 241.

Ill.: Beitritte und Beitrittskandidaten zur Europäischen Union

 

 

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