
Visuelle Rhetorik: Transparenz und TĂ€uschung
Christian Reidenbach, âVon der Epistemologie der Transparenz zur Poetik der TĂ€uschung: neue Publikationen zur visuellen Rhetorik bzw. zu einer Poetik der Trugwahrnehmung im 17. und 18. Jahrhundertâ, zur Publikation in Romanische Studien 6 (2017)
Von der Epistemologie der Transparenz zur Poetik der TĂ€uschung
Neue Publikationen zur visuellen Rhetorik bzw. zu einer Poetik der Trugwahrnehmung im 17. und 18. Jahrhundert
Christian Reidenbach (Bonn/Paris)
Frédérique Aït-Touati und Stephen Gaukroger, Le Monde en images: voir, représenter, savoir, de Descartes à Leibniz (Paris: Garnier, 2015), 128 S.
Evelyn Dueck und Nathalie Vuillemin, Hrsg., âDer Augen Blödigkeitâ: SinnestĂ€uschungen, Trugwahrnehmung und visuelle Epistemologie im 18. Jahrhundert (Heidelberg: Winter, 2016), 272 S.
Es gehört zu den bemerkenswerten Paradoxien der frĂŒhen Neuzeit, dass die wissenschaftliche Theoriebildung die physikalischen und erkenntnistheoretischen Prozesse des Sehens ausgerechnet ab jenem Moment neu fasst, als mit den optischen GlĂ€sern deutlich leistungsfĂ€higere Agenten die menschlichen Sinne sekundieren und das physische Auge zu einem Medium unter mehreren, noch dazu einem unzuverlĂ€ssigen, herabstufen. So wirkt die instrumentelle Assistenz auf Gestalt und Funktion des vertrauten Organs zurĂŒck. Ăberhaupt werden die aristotelischen Prinzipien der Optik just dann hinterfragt, als sich das Sichtbarkeitspostulat, in dem die Himmelsbeobachter seit den Zeiten der ChaldĂ€er eine Kongruenz von PhĂ€nomen und Himmelsarchitektur voraussetzten, nicht lĂ€nger aufrechterhalten lĂ€sst: Neuzeitliches Sehen geschieht in der Ahnung all dessen, was sich dem menschlichen Blick entzieht, ist Wissen um das visuell UnverfĂŒgbare. Bei der ErschlieĂung stetig anwachsender Anteile von Restunsichtbarkeiten entschĂ€digt allein die Rhetorik:1 Ihre Gesetze prĂ€gen sprachliche, im 17. Jahrhundert dann zunehmend visuelle ReprĂ€sentationen der physischen Welt. Diese rhetorisch organisierte LegitimitĂ€t des Bildes jedoch entsteht erst als Folge diskursiver Aushandlungen innerhalb der Wissensgemeinschaft. Im Feld der Literatur dagegen findet eine fiktionale Entfesselung des Sehens statt, bei der das unbewaffnete Auge zum wissenschaftlichen Blick, zu den instrumentellen Erweiterungen und den neuen epistemologischen Standards bei der Schilderung von Wirklichkeit in einem Spannungs- und KonkurrenzverhĂ€ltnis steht.
In dieser Perspektive liest man zwei neuere Publikationen mit Gewinn, denen jeweils mediologische Fragestellungen rund ums Auge und um das Sehen zugrunde liegen, und zwar im einen Fall hinsichtlich des 17., im zweiten des 18. Jahrhunderts. Sie befassen sich mit der Transparenz im metaphorischen wie im wörtlichen Sinne, mit der Differenz von korrektem und fehlerbehaftetem Sehen sowie mit Fragen zum VerhĂ€ltnis von wahrnehmbarer Wirklichkeit, Wahrnehmungsbild und mentaler ReprĂ€sentation, bzw. zum inkongruenten VerhĂ€ltnis von Referent, Signifikant und Signifikat, womit bildliches und textliches ReprĂ€sentationssystem in Analogie gesetzt wĂ€ren. In Bezug auf ihren jeweiligen zeitlichen und methodischen Fokus ergĂ€nzen sich beide Veröffentlichungen ideal. FrĂ©dĂ©rique AĂŻt-Touati und Stephen Gaukroger legen bei Garnier den schmalen Band Le Monde en images: Voir, reprĂ©senter, savoir, de Descartes Ă Leibniz vor; bei Winter vereinen Evelyn Dueck und Nathalie Vuillemin im Sammelband âDer Augen Blödigkeitâ: SinnestĂ€uschungen, Trugwahrnehmung und visuelle Epistemologie die BeitrĂ€ge einer gleichnamigen Tagung an der UniversitĂ€t NeuchĂątel. Das schon in den Herausgeberprofilen ablesbare interdisziplinĂ€re Zusammengehen von Ideengeschichte, Wissensgeschichte und Literaturgeschichte zeugt von der gegenseitigen methodischen Kontamination, in der in den letzten zwei Jahrzehnten etwa das Interesse fĂŒr das ErzĂ€hlen in der Wissenschaft2 oder die fruchtbaren Fragestellungen der Wissenspoetik aufgekommen sind3 und ĂŒberdies ein geweiteter ErzĂ€hlbegriff geprĂ€gt wurde. Er integriert epistemische ErzĂ€hlverfahren, ohne die Differenz von FiktionalitĂ€t und FaktualitĂ€t einebnen zu mĂŒssen.4
FĂŒr eine Mediengeschichte des instrumentellen Sehens (Fernrohr und Mikroskop) sind in den letzten Jahren zentrale Arbeiten erschienen.5 Die beiden vorliegenden BĂ€nde zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit mehr oder weniger Abstand auf diese medienhistorischen Forschungen beziehen können, um ihrerseits die VerĂ€nderungen der Sehpraktiken und -gewohnheiten in einen stĂ€rker interdisziplinĂ€ren Kontext zu stellen: Jenen der Bildrhetorik und der Mathematik zum einen, jenen der literarischen Fiktion zum anderen. Die Herausforderung besteht in der Eingrenzung des Themas: Dem ersten Band gereicht sein Fokus auf die Wissensgeschichte zum Vorteil, wobei die vier Kapitel in ihrer kreuzweisen Anordnung nicht immer schlĂŒssig aufeinander folgen, sondern eher exemplarische, wenn auch prĂ€zise gefasste Ausschnitte zum Themenkomplex beisteuern. Der zweite Band definiert die fallaciae visus als Differenz von Naturgesetz und Seherwartung, schildert jedoch zugleich die Verfahren Ă€sthetischer TĂ€uschung als Mittel gesteigerter Illusion. In diesem Grenzbereich von Mimesis, Augentrug und Wahn machen einerseits die AbhĂ€ngigkeit eines Begriffs des menschlichen Sehsinns von erkenntnistheoretischen Ăberlegungen bzw. von den neuen SehgerĂ€ten, andererseits die widersprĂŒchlichen Postulate eines epistemologischen Realismus bzw. einer heuristischen Ăberwindung des Nur-Sichtbaren das Untersuchungsfeld ausgesprochen komplex.
I. Das LegitimitÀtsproblem des Visuellen
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kompensiert die Rhetorik zunehmend den Evidenzausfall einer Wissenschaft, deren aristotelische Prinzipien und scholastische Konventionen, allen voran jene der Demonstration, kritisch werden. Eines der Hauptinteressen von Le Monde en images besteht nun darin, Ausbildung und Anwendungsformen der Legitimationsformel âclare et distincteâ bei Descartes nachzuweisen bzw. ihre historischen Transformationen nachzuvollziehen, die allesamt dem BemĂŒhen geschuldet sind, im weitesten Sinne optisch fundierte Beweisverfahren in der Wissenschaft zuzulassen. Schon mit Bacons epistemologischer Wende hatte sich der Fokus wissenschaftlicher Beglaubigung von der syllogistischen Demonstration hin zum Weg der Untersuchung verschoben; die Transparenz der Methode wurde dabei selbst zum ZuverlĂ€ssigkeits- und GlaubwĂŒrdigkeitsnachweis.
Die erste Verwendung der Formel betrifft beim jungen Descartes nun aber die Beweiskraft der Bilder: Die rhetorische enargeia, bei Quintilian Strategie textlicher Ăberzeugung, wird hier im Sinne einer Technik des visuellen Vor-Augen-Stellens ganz wörtlich ausgelegt. In gleicher Weise wandelt sich die Naturwissenschaftsschreibung von einem Instrument der Ăberzeugung zu einem Gegenstand der SelbstĂŒberzeugung: Sie hĂ€ngt nun von der persuasiven QualitĂ€t der mitgegebenen Abbildungen ab, von ihrer Klarheit und Deutlichkeit.6 Zu diesem neuen Stellenwert der sichtbaren ReprĂ€sentationen aber hatte maĂgeblich Kepler beigetragen, dessen 1604 formulierter Kritik an der traditionellen aristotelischen Optik zufolge sich das optische Bild nicht mehr dreidimensional im Kristallkörper des Auges einprĂ€gt, sondern vielmehr spiegelverkehrt auf die FlĂ€che der Retina projiziert. Die Frage nach der LegitimitĂ€t der Bilder ist damit eng an das Thema der ReprĂ€sentation geknĂŒpft; sie bezieht ihre Dynamik aus einer Ăbertragung rhetorischer Charakteristika auf ein realistisches Bildprogramm.
Von den Möglichkeiten einer visuellen Mathesis
Die EinwĂ€nde gegen eine Epistemologie des Klaren und Deutlichen sind jedoch weit verbreitet; Gassendi kritisiert, ihre Auslegung sei rein subjektiv. Daran Ă€ndert wenig, dass Descartes mit der Ăbertragung der Mathematik auf die physische Wirklichkeit in den Regulae einen der Debatte um die Abbildungen vergleichbaren zentralen Schritt in der Legitimierung des Visuellen unternimmt. Fraglich ist ĂŒberdies, welche Unterdisziplin sich dazu am besten eignet: die Geometrie, die Arithmetik oder die Algebra. Die Autoren zeigen in ihrer Descartes-LektĂŒre, dass fĂŒr den Philosophen der zwanziger Jahre der ReprĂ€sentationsschirm der Retina der Ort ist, an dem sowohl die PhĂ€nomene der AuĂenwelt als auch die geometrischen Formen der mathematischen Vorstellungen in gleicher Weise zweidimensional abgebildet werden. Dass sie klar und distinkt sind, legitimiert die mathematischen Visualisierungen und macht sie zu aussagekrĂ€ftigen Beweisen. Doch diese Bevorzugung der Geometrie ist nicht von Dauer: Descartes befreit die mathematischen Operationen von den arithmetischen ZwĂ€ngen, indem er nun Buchstaben als Variablen in Gleichungen einbettet. In deren systematischer ZusammenfĂŒhrung bekannter und unbekannter Terme aber entfaltet die Algebra eine Anschaulichkeit, in der sie sich der traditionellen Geometrie als deutlich ĂŒberlegen erweist.
Nach 1628 jedoch wandelt sich der Gebrauch beider Kriterien nochmals grundlegend; von Markern der BeweisfĂ€higkeit physischer GröĂen werden sie zu einer metaphysischen Chiffre des Unbezweifelbaren, d. h. einer intuitiven, unmittelbaren ErkenntnisfĂ€higkeit. Klare und deutliche Ideen sind nun etwas, das Gott dem Menschen eingegeben hat. Die Attribute sind damit nur noch im metaphorischen Sinne visuell. Im Rahmen einer allgemeinen Epistemologie bezeichnen sie jetzt jegliche Form von Ideen, sensible (visuelle) Ideen sind hier zugleich mitumfasst.
BeweisfÀhigkeit des mikroskopischen Bildes
Ein vollstĂ€ndig unmetaphorischer Ansatz gelingt erst Robert Hooke, der mit seiner Micrographia von 1664 Fortschritt und LegitimitĂ€t der Wissenschaft auf das Visuelle grĂŒndet und den entscheidenden Schritt von der reinen Hypotypose zum visuellen Beweis vornimmt. Ihm ist das dritte Kapitel des Bandes gewidmet. Fernrohr und Mikroskop zeigen den Wissenschaften des 17. Jahrhunderts die Dringlichkeit auf, fĂŒr die instrumentengestĂŒtzten ReprĂ€sentationen bisher unsichtbarer Nah- und Fernbereiche der Natur BeweisfĂ€higkeit zu reklamieren. Hookes Leistung besteht nun darin, beide GlĂ€ser in Korrespondenz zu setzen, um zwischen beiden die KontinuitĂ€t wiederkehrender Texturen, Muster und Formen nachzuweisen: Ăber alle Brennweiten und MaĂstĂ€be hinweg wird so eine von göttlicher Hand eingesetzte elementare Zeichenschrift lesbar, in der das Buch der Natur verfasst ist.
Hookes Neuerung ergibt sich vor allem aus einer strengen Auslegung der enargeia: WĂ€hrend Forscherkollegen wie Henry Power das Prinzip vor allem rhetorisch realisieren, will Hooke durch getreue Abbildungen die beobachteten Objekte lebendig machen. Jedes Detail muss mimetisch reproduziert werden, ehe auf einen Blick das ganze Objekt ĂŒberschaut werden kann â ein Vorgehen, das nicht nur Prinzipen der Kartographie verinnerlicht, sondern zugleich, wie die Autoren mit Bezug auf Martin Kemp zeigen, aus der anatomischen Tradition eines Vesalius bzw. von der hollĂ€ndischen Stilllebenmalerei die Selbstrede der Details ĂŒbernimmt und, darin auf Tycho Brahe und Kepler zurĂŒckgehend, durch die perspektivische Darstellung den GegenstĂ€nden zu naturnaher Lebendigkeit verhilft. Nur wenn die wirklichen GegenstĂ€nde als Tatsachen fĂŒr sich selbst sprechen,7 bedarf die Wissenschaft keiner Fabeln mehr, kann die wissenschaftliche Imagination durch das konkrete image ersetzt werden, das seinem jeweiligen Betrachter zur eigenen Urteilsbildung vorgelegt wird.
Triumph der Algebra
In der Mathematik hingegen kann das Visuelle diesen Beweisstatus nicht durchsetzen. Das Problem bleibt, wie das vierte Kapitel zeigt, nicht nur auf Descartes beschrĂ€nkt, der die Kriterien von Klarheit und Deutlichkeit nicht letztgĂŒltig mit seiner Analysis in Einklang zu bringen vermag und deshalb die mathematischen Operationen selbst mit einer demonstrativen Evidenz ausstattet. Auch fĂŒr die Neuerung der Infinitesimalrechnung gilt dieser Vorbehalt dem Visuellen gegenĂŒber. Bonaventura Cavalieris Versuch einer geometrischen Darstellung des InfinitesimalkalkĂŒls bleibt aufgrund mangelnder Abstraktionsmöglichkeiten ohne Einfluss. Ăberhaupt werden gegen Ende des Jahrhunderts mit Leibniz Klarheit und Deutlichkeit als Kriterien des Beweises hinfĂ€llig, ja als unnötige Einengungen der Disziplin empfunden: Gerade in Operationen mit fiktiven Termen erziele dagegen die Unendlichkeitsrechnung valide Ergebnisse. Erst diesen symbolischen Operationen verdanke die Mathematik entscheidende Wissensfortschritte, die von einer visuellen Versinnlichung behindert wĂŒrden. Dieser Argumentation spielt auch die moralistische Entwertung des Bildes in die HĂ€nde, die Leibniz teilt: Menschliche Wahrnehmung sei defizitĂ€r, ihren Mangel lassen Fernglas und Mikroskop nur umso deutlicher zutage treten.
Die Auswahl der Themen und die Stringenz vor allem der Descartes-LektĂŒren zeugen von groĂer SouverĂ€nitĂ€t und Klarheit der Darstellung. Anders als der Titel es ankĂŒndigt, verschafft der Band jedoch keinen komplexen Ăberblick ĂŒber die visuelle ReprĂ€sentation im 17. Jahrhundert, sondern gewĂ€hrt bloĂ ausschnitthafte, wenn auch signifikante Einsichten. Ein Passus ĂŒber Malebranches okkasionalistischen Cartesianismus, mitverantwortlich fĂŒr die selektive Rezeption Newtons in Frankreich und die anschlieĂenden Newton Wars, gerĂ€t sehr kurz, auch vermisst der Leser spezifischere AusfĂŒhrungen zu den zeitgenössischen Theorien des Lichts und ihrer jeweiligen Verbindung zum ReprĂ€sentationsbegriff.8 SchlieĂlich weckt die prĂ€gnante These einer maĂstabsĂŒbergreifenden Universalsemiotik bei Hooke mehr Neugier, als dass die Autoren sie explizit ausdeklinierten. Insgesamt bleibt der Eindruck eines erhellenden Buches, das eben aufgrund seiner KĂŒrze und UnvollstĂ€ndigkeit zur eigenen WeiterlektĂŒre inspiriert.
II. Mit den Augen der Literatur: Eine Poetik der TĂ€uschung
Gerade Lucas Giossis Hypothese knĂŒpft nun im zweiten Band Der Augen Blödigkeit an das zweite Kapitel des ersten an, indem sie die visuelle TĂ€uschungserfahrung und die Entfesselung der wissenschaftlichen Spekulation in der rationalen Fabel in eine vielleicht etwas schematische, aber letztlich erhellende Kausalrelation stellt: Descartesâ Epistemologie einer fable du monde verstehe sich nicht als strategische Verschleierung aus Angst vor Verfolgung, sondern als Reaktion auf die UnzuverlĂ€ssigkeit und geringe Reichweite der optischen GerĂ€te. Auf der Basis jener fragmentierten Sinneserfahrungen, die der Mensch tĂ€glich von seiner AuĂenwelt macht â der Autor nennt sie aufgrund der ganz subjektiven Erfahrung der Ă€uĂeren PhĂ€nomene die erste oder auch die sinnliche Fabel9 â, entwirft er die Welt als eine imaginĂ€re ReprĂ€sentation neu. Diese eigentliche oder zweite Fabel fĂŒhrt eine Abstraktion, eine mechanische FunktionalitĂ€t vor, die wiederum rĂŒckwirkend ihr ErklĂ€rungspotenzial auch fĂŒr die sinnlich erfahrene Welt geltend macht, deren bereinigtes Bild sie liefert. Die vorgenommene Abstraktion, die bei Descartes zugleich eine Einpassung in die Korpuskularmechanik bedeutet, stellt beide Fabeln nicht nur in ein AnalogieverhĂ€ltnis; sie kontextualisiert den Befund zugleich mit anderen Feldern des Wissens und ermöglicht es, die Leerstellen des empirisch Erfahrbaren spekulativ zu erschlieĂen.
Berechtigung zur visuellen Spekulation
Das 18. Jahrhundert wendet die EnttĂ€uschung des 17. Jahrhunderts ĂŒber die unvollstĂ€ndigen ReprĂ€sentationen der kosmologischen Ordnung und einen tĂ€uschungsanfĂ€lligen Sehsinn in einen heuristischen Optimismus, bei dem das Nur-Sinnliche in Richtung der wissenschaftlichen Spekulation ĂŒberschritten wird. Die Wahrheit ist, wie die Prothesen von Fernrohr und Mikroskop bezeugt haben, verborgen; die PhĂ€nomene unterstehen, wo sie sich nicht gĂ€nzlich der Sichtbarkeit entziehen, einem generellen TĂ€uschungsvorbehalt; das Auge dagegen erweist sich im Leistungsvergleich mit den neuen GerĂ€ten als anfĂ€lliges Instrument. Fontenelles Bestseller der Entretiens sur la pluralitĂ© des mondes hatte schon 1686 empfohlen, vom eigenen Sehen zu abstrahieren, um zur Wahrheit vorzudringen, d. h. weniger mit dem physischen Auge, sondern vor allem mit jenem der Vernunft zu schauen. Erika Thomalla â darin AĂŻt-Touatis Publikation Contes de la lune (2011) mit einem deutschsprachigen Korpus aus der ersten HĂ€lfte des 18. Jahrhunderts mehr quantitativ als qualitativ ergĂ€nzend â zeigt, wie parallel zur spekulativen ErschlieĂung die Unsichtbarkeiten des Alls den Optimismus der Mondfahrer herausfordern. Die Literatur ermöglicht einer interessierten Leserschaft gleichsam die spekulative ErschlieĂung des Universums; sie vermittelt Stand- und Blickpunkte, von denen aus sich die Einsicht in die göttliche Ordnung des Alls spielerisch herstellt und der Schock ĂŒber die kosmologischen Neuerungen in der literarischen Fiktion abgefedert wird. Epistemologische bzw. rezeptionsbedingte GrĂŒnde einer deutschen VerspĂ€tung dieser astronomischen Literatur nennt die Autorin jedoch nicht.
Gerahmte Herausforderungen der menschlichen Urteilskraft
Das 17. Jahrhundert hĂ€lt zumindest in begrenzten Diskursfeldern an einer Evidenz und WahrheitsfĂ€higkeit des Visuellen fest; sie stehen in dialektischer Beziehung zu einem Skeptizismus, der die Existenz der eingeborenen Ideen infrage stellt, wie nicht zuletzt die Debatte um das Molyneux-Problem zeigt, die noch das gesamte 18. Jahrhundert beschĂ€ftigen wird. Die sensualistische Wende und ihr Interesse fĂŒr Sehfehler bergen dabei solange keine reale Gefahr fĂŒr das Erkenntnissubjekt, als dessen Urteilsvermögen von den visuellen AusfĂ€llen nicht wesentlich beeintrĂ€chtigt wird. Indem die WidersprĂŒche des Sichtbaren AnlĂ€sse fĂŒr eine triumphale Syntheseleistung bieten, wird der Ă€sthetische Genuss an ihnen zum Indiz einer neuen, positiven Anthropologie.10 Ambivalenzen und Koinzidenzen des Trompe-lâĆil werden genau deshalb als lustvoll empfunden, weil ihre KĂŒnstlichkeit auf einen metafiktionalen oder semantischen Rahmen bezogen bleibt, weil Rahmenschau und Rahmenvergessenheit Fokalisierungen bilden, die das Ă€sthetische Subjekt eigenmĂ€chtig vornimmt.11 WidersprĂŒchliche Kookkurenzen und stereoskopische Effekte von TĂ€uschungen sind nur dann sinnvoll deutbar, wenn sie als metaphorische Struktur aufgefasst werden. Genau in dieser LesefĂ€higkeit aber Ă€uĂert sich der Stand des kundigen Betrachters im Projekt seiner SelbstaufklĂ€rung.
Diesem Prinzip folgend, weist Manuel MĂŒhlbacher in einer subtilen Analyse der Lettre sur les aveugles sprachliche Trompe-lâĆil-Effekte nach, die die inhaltlichen AusfĂŒhrungen zum Spiegelmotiv auf der Ebene des Textes bzw. der Sprachreflexion wiederholen. Wie der Spiegel fĂŒr den Blinden die Sinne in Widerspruch setzt, weil er einen Gegenstand lediglich als Bild reproduziert, ohne seine haptische Beschaffenheit mitzuliefern, ebenso fĂŒhrt die durch die Metapher erzielte Bedeutungsmehrung zu Sinninterferenzen und WidersprĂŒchen im Bezeichnungsvorgang, und zwar sowohl fĂŒr den Blinden als auch fĂŒr den Sehenden. Dennoch wird SinnkomplexitĂ€t im doppelten Sinne bei Diderot zum Garanten eines âglĂŒcklichen Ausdrucksâ, spannungsvoller Sinnproduktion und triumphaler Syntheseleistungen, und zwar je mehr Sinnesorgane an einer Erfahrung beteiligt sind. Monika Schmitz-Emans fĂŒhrt anhand der Vexierbilder in Hogarths Kupferstichen diese Interferenz von visueller und textlicher MetaphorizitĂ€t exemplarisch vor: TĂ€uschungseffekte durch optische Gleichzeitigkeiten, das Nebeneinander verschiedener Bildebenen sowie Schilder und Beschriftungen veranlassen den Interpreten Lichtenberg nicht nur zu launigen Ausdeutungen und kritischen Kommentaren, sondern sie ermuntern ihn zugleich, in Wortspielen Hogarths visuelle Mehrdeutigkeiten auf der Textebene eigenstĂ€ndig weiterzufĂŒhren.
Krise des Sehens
Inwiefern wĂ€ren die BrĂŒche im mimetischen Pakt der Literatur im 18. Jahrhundert mit der gesteigerten SensibilitĂ€t fĂŒr die FehleranfĂ€lligkeit des Sehens zu erklĂ€ren, wie sie in der Romantik zur gegenseitigen Durchdringung bzw. zur Nivellierung von Halluzination und RealitĂ€t fĂŒhren wird? Claire Jaquier begrĂŒndet diese poetologischen Neuerungen zunĂ€chst eher mit der Ausbildung des empfindsamen Stils und belegt sie am prĂ€gnanten Beispiel literarischer Blumenschilderungen. Hatte das an der Malerei geschulte Prinzip einer tĂ€uschenden Imitation der Natur, in der sich rhetorische und visuelle Elemente gemÀà einem ut pictura poiesis gegenseitig verstĂ€rken, seit Beginn des 18. Jahrhunderts den Naturalismus der bukolischen Literatur geprĂ€gt, so wird die zweite JahrhunderthĂ€lfte die zu literarischen Schablonen konventionalisierten Beschreibungen aufgeben. Mit der romantischen Krise, in der der KĂŒnstler zum autonomen Schöpfer und das empfindende Subjekt zum rezeptiven Zentrum jeglicher Naturschilderung wird, werden Blumen nun zum Spiegel seelischer ZustĂ€nde.
Doch nicht erst der Sensualismus, bereits eine skeptische Kritik an rationalistischen bzw. idealistischen Transparenzforderungen hatte die TĂ€uschungsanfĂ€lligkeit des menschlichen Blickes im Rahmen einer materialistischen Anthropologie produktiv gemacht. Das zeigt CĂ©cile Lambert anhand der Schriften La Mettries ĂŒber das Auge. Gleichsam als Nebeneffekt seines Beharrens auf dem ganzheitlichen bzw. subjektiven Charakter der Sinneserfahrungen sind bereits in seinem TraitĂ© du vertige (1737) die Nachtseiten, die Grenzerfahrungen, AugentĂ€uschungen und Halluzinationen nicht mehr ausschlieĂlich pathologisch bedingt. Vielmehr ist ein störungsfreies Sehen nur noch graduell erreichbar, erweist sich wie spĂ€ter bei den Romantikern die Scheidelinie zwischen Wahrheit und Illusion als durchlĂ€ssig.
Die zweite JahrhunderthĂ€lfte verschĂ€rft diese Skepsis an der WahrheitsfĂ€higkeit des Visuellen noch. Auf das TĂ€uschungsproblem im Sinne eines Winckelmannâschen Idealismus bzw. Schillers Projekt einer Ă€sthetischen Vervollkommnung des Menschen zufolge mit einer Entpersönlichung des Sehens zu reagieren, stellt fĂŒr die Zeitgenossen Goethe und Wieland keine Option dar. Deshalb sind die spĂ€ten Schweizer Briefe, in denen Goethe seinen Werther zugleich nochmals zu Wort kommen lĂ€sst und widerlegt, als parodistische Reaktion auf jene Sublimationsanstrengungen zu werten. Stattdessen plĂ€diert Goethe, wie Sonja Klein in schlĂŒssiger Argumentation nachweist, fĂŒr die ganzheitliche Einbettung von Erkenntnissubjekt und Sehgegenstand in die eine Natur bzw. fĂŒr die Einheit von geistigem und körperlichem Auge.12 Auch Wieland nimmt die Gestalt des körperfeindlichen SchwĂ€rmers aufs Korn, sein Agathon versteht sich, das zeigt Ulrike Schiefelbein, als eine SchwĂ€rmerkur. Denn die platonische Askese wird nicht zuletzt schon dadurch moralisch mehrdeutig, weil die Tugendhaftigkeit eine erotische Affizierbarkeit zumindest voraussetzt, um sich von ihr distanzieren zu können. Wielands Romantext entlarvt sexuell stimulierende Szenerien deshalb als Alibi fĂŒr Exerzitien der Enthaltsamkeit, nicht ohne sie jedoch dem Leser in aller AusfĂŒhrlichkeit darzubieten. So zielt der Roman auf den philisterhaften Idealismus des zeitgenössischen Publikums und bezieht durch ironische Distanznahmen Stellung in der zeitgenössischen Debatte um die Gefahren des identifikatorischen Lesens.
Literatur wird zum Ort des Trugmotivs
Ein quantitativer Schwerpunkt des Bandes liegt schlieĂlich bei Beispielen romantischer Dichtung; hier wird das Motiv des halluzinierenden Sehens topisch. Christoph Gschwind liefert dabei fĂŒr mehrere BeitrĂ€ge den geistesgeschichtlichen Horizont: Mit Bezug auf die Ă€sthetischen Theorien Baumgartens, Mendelssohns, BĂŒrgers, Sulzers und Tiecks nimmt er die produktions- bzw. rezeptionsĂ€sthetischen Wirkungen der mimetischen Illusion in den Blick, und dies mit einem besonderen Interesse fĂŒr den Paradigmenwechsel zwischen der Ăsthetik der AufklĂ€rung und dem Erkenntnismodell der Romantik. Die selbstbestimmte Rahmenvergessenheit weicht in der Romantik einer unwillkĂŒrlichen Konvergenz von Wirklichkeit und Illusion; zugleich aber setzt die neue Transparenz der Literatur fĂŒr ihre narratologischen Verfahren die geschilderten Sachverhalte einem Effekt der Desillusionierung aus. Sie fördert die Defizite der Ă€sthetischen Fiktion zutage, eine ĂŒberkomplexe Wirklichkeit adĂ€quat abbilden zu können.
Diese subjektivistische bzw. transzendentale Wende im Sehdiskurs illustriert das Motiv der Blickumkehr, des nach innen gerichteten Fernrohrs. Sabine Haupt verfolgt es in seinen AnklĂ€ngen bei Casanova und Leonhard Euler, schlieĂlich in Texten von Jean Paul und Ludwig Tieck. Sie zeigt, wie das Teleskop zur Metapher der Innenschau, zum Instrument bei der Erkundung seelischer Unsichtbarkeiten wird. Wie es sich dabei fĂŒr phantastische Einbildungen produktiv erweist, wĂ€chst zugleich das Bewusstsein fĂŒr die StöranfĂ€lligkeit der Wahrnehmungen. Hier stellt sich heraus: Das Auge ist keine Kamera mehr, es bettet sich in ein GefĂŒge von körperseelischen Interdependenzen ein. Zu fragen wĂ€re gewesen, inwiefern allein schon in der Metaphorisierung des Fernrohrs das Indiz fĂŒr eine generelle UnzuverlĂ€ssigkeit des Visuellen anzusehen ist; bereits in Fontenelles Dialogues des morts (1683) hatte ein fiktionaler Galilei davor gewarnt, dass das Versprechen zukĂŒnftiger Sichtbarkeiten durch das Sehrohr zugleich mit einer Entwertung des gegenwĂ€rtigen Wissensstands einhergehe, dessen Gestrigkeit in der Erwartung kommender, noch subtilerer Einblicke immer schon vorweggenommen sei.13
Im Kontext der romantischen Wende aber werden um 1800 nicht zuletzt die zentralen Topoi des wissenschaftlichen Diskurses radikal hinterfragt. Jean Paul etwa ruft jene metaphysischen Erwartungen, die sich einst mit dem Molyneux-Problem verbanden, nur mehr in parodistischer Verzerrung auf â ganz analog zur nihilistischen Ausleuchtung der Eschatologie, mit der die tradierten Jenseitsvisionen in Trug- und Zerrbilder umschlagen. Die prekĂ€re VerlĂ€sslichkeit der visuellen Wahrnehmung nĂ€mlich zersetzt hier, wie Sabine Eickenrodt zeigt, nicht nur die arbitrĂ€re Differenz von Wahrheit und Irrtum, sie nivelliert auch das VerhĂ€ltnis von Wirklichkeit und Theater vollends: Das ganze Leben erscheint dann als ein Simulakrum â als ein Spiegel, in dem physische Wirklichkeit und Halluzination verschwimmen. Die Autorin analysiert dieses Motiv am Beispiel des Lambertâschen Organons (1764), insbesondere am zentralen Begriff des Scheins, dessen physikalische Attribute nun den graduellen metaphysischen Abstand des Vorgestellten oder Wahrgenommenen vom Wahren beschreiben. In ihm konvergieren Perzeption und Intuition zu einer universellen Erfahrung. Thomas Boyken fĂŒhrt diese Ambivalenz des Visuellen bei E. T. A. Hoffmann auf einen VulgĂ€rkantianismus zurĂŒck. Die geschilderten GegenstĂ€nde ent- und bestehen nun ausschlieĂlich in der Perspektive der Protagonisten; die nur noch als subjektive Erscheinung gegebene Wirklichkeit versteht sich daher immer schon als TĂ€uschung.
Die StĂ€rken des Bandes bilden die vielfach ĂŒberzeugenden literarischen Stichproben, die sich als illustrierende Elemente fĂŒr eine Literaturgeschichte der optischen TĂ€uschung empfehlen. SchwĂ€chen entstehen vor allem dann, wenn die ideengeschichtlichen und wissenspoetischen ZusammenhĂ€nge zugunsten der Ausbreitung eines spezifischen Materials verblassen, so am augenfĂ€lligsten vielleicht in den BeitrĂ€gen zur VisualitĂ€t des Schattens bei Chamisso oder zu einer literarisch vermittelten Kulturgeschichte der Brille im 18. Jahrhundert. Auch anderen Analysen gelingt eine Einbettung der textlichen Befunde in den groĂzĂŒgigeren ideengeschichtlichen Horizont, den Evelyn Duecks sehr deskriptiv gehaltene Einleitung aufspannt, bisweilen nur graduell; sie bleibt letztlich dem Leser ĂŒberlassen. Zudem beruft sich der Band ein wenig diffus auf eine âeuropĂ€ische Literaturâ, was dazu fĂŒhrt, dass sich einige der Autoren zwar zugleich auf französisch- oder deutschsprachige, gelegentlich auch englischsprachige Werke beziehen, ohne jedoch die Rezeptionswege prĂ€zise nachzuzeichnen.
Wie ein blinder Fleck der von beiden Publikationen beschriebenen wahrnehmungsgeschichtlichen Entwicklung visueller ReprĂ€sentationen bzw. TĂ€uschungen nimmt sich schlieĂlich der Begriff der ObjektivitĂ€t aus; ihr wesentliches Merkmal besteht nun gerade in der AperspektivitĂ€t.14 FĂŒr die literatur- und geistesgeschichtlichen Einzeldarstellungen hĂ€tte der Term die Rolle eines zentralen Fluchtpunkts ĂŒbernehmen können: Das Ringen um die Praktiken der Herstellung wissenschaftlicher Bilder im 19. Jahrhundert wĂ€re dann einerseits als die VerlĂ€ngerungen des LegitimitĂ€tsdiskurses um das menschliche Sehen bzw. seine ReprĂ€sentationen sowie als Konsequenz aus den Normierungsbestrebungen des instrumentellen Sehens der beiden voraufgehenden Jahrhunderte aufzufassen gewesen, andererseits zugleich als Aneignung eines ObjektivitĂ€tsbegriffs, der zuvor in der Ă€sthetischen und moralischen Theoriebildung Gestalt angenommen hatte. Das reichhaltige, gröĂtenteils erhellende Material hĂ€tte sich so nach zwei Seiten hin verankert, nicht allein in der neuzeitlichen Krise des Sehens, die die technischen Erweiterungen des menschlichen Auges auslösen.
- Zu dieser FunktionalitĂ€t vgl. Hans Blumenberg, âAnthropologische AnnĂ€herung an die AktualitĂ€t der Rhetorikâ [1971], in ders., Wirklichkeiten, in denen wir leben (Stuttgart: Reclam, 1981), 104â36.â©
- DafĂŒr beispielhaft die Arbeiten Shapins und Dears zu Boyle: Steven Shapin, âPump and Circumstance: Robert Boyleâs Literary Technologyâ, Social Studies of Science 14 (1984): 487â94; Peter Dear, âTotius in verba: Rhetoric and Authority in the Early Royal Societyâ, Isis 76 (1985): 145â61; siehe auch Fernand Hallyn, La Structure poĂ©tique du monde: Copernic, Kepler (Paris: Seuil, 1987), 9â36; Bruno Latour, Science in Action: How to Follow Scientists and Engineers through Society (Cambridge: Harvard University Press, 1987), 21â62; Christian Licoppe, La Formation der la pratique scientifique: le Discours de lâexpĂ©rience en France et en Angleterre (1630â1820) (Paris: La DĂ©couverte, 1996), 53â87. Elisabeth Pernkauf, ââDie Natur ist eine Fabelâ: Narrative und Naturwissenschaftenâ, in Kultur â Wissen â Narration: Perspektiven transdisziplinĂ€rer ErzĂ€hlforschung fĂŒr die Kulturwissenschaften, hrsg. von Alexandra Strohmaier (Bielefeld: Transcript, 2013), 323â43.â©
- Vgl. dazu Joseph Vogl, âEinleitungâ, in Poetologien des Wissens um 1800, hrsg. von Joseph Vogl (MĂŒnchen: Fink, 1999), 7â16. Einen Ăberblick der Debatten zum VerhĂ€ltnis von Literatur und Wissen liefert der Sammelband Literatur und Wissen: theoretisch- methodische ZugĂ€nge, hrsg. von Tilmann Köppe (Berlin und New York: De Gruyter, 2010).â©
- Christina Brandt, âWissenschaftserzĂ€hlungen: narrative Strukturen im naturwissenschaftlichen Diskursâ, in WirklichkeitserzĂ€hlungen: Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen ErzĂ€hlens, hrsg. von Christian Klein und MatĂas MartĂnez (Stuttgart: Metzler, 2009), 81â109; ErzĂ€hlen in den Wissenschaften: Positionen, Probleme, Perspektiven, hrsg. von Balz Engler, (Fribourg: Academic Press, 2010); Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung: GrundzĂŒge einer Allgemeinen ErzĂ€hltheorie (Frankfurt a. M.: Fischer, 2012).â©
- Siehe z. B. Philippe Hamou, La Mutation du visible: essai sur la portĂ©e Ă©pistĂ©mologique des instruments dâoptique au xviie siĂšcle (Lille: Presses Universitaires du Septentrion, 2001); Jutta Schickore, Microscope and the Eye: A History of Reflections, 1740â1870 (Chicago: University of Chicago Press, 2007); Marc Ratcliff, The Quest for the Invisible: Microscopy in the Enlightenment (London und New York: Ashgate, 2009); Joseph Vogl, âMedien-Werden: Galileis Fernrohrâ, in Mediale Historiographien, hrsg. von Lorenz Engel und Joseph Vogl (Weimar: UniversitĂ€tsverlag, 2001), 115â23; Jan Henrik Witthaus, Fernrohr und Rhetorik: Strategien der Evidenz von Fontenelle bis La BruyĂšre (Heidelberg: Winter, 2005); Florian Welle, Der irdische Blick durch das Fernrohr: literarische Wahrnehmungsexperimente vom 17. bis zum 20. Jahrhundert (WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann, 2009).â©
- Wohl den sprachlichen HĂŒrden ist es vorzuwerfen, dass die Autoren sich in ihren medientheoretischen AusfĂŒhrungen nicht auf Claus Zittels bahnbrechende Studie zu Descartesâ Abbildungen berufen: Theatrum philosophicum: Descartes und die Rolle Ă€sthetischer Formen in der Wissenschaft (Berlin: Akademie Verlag, 2009).â©
- Diese Selbstrede der wissenschaftlichen Fakten entsteht, wie Barbara Shapiro gezeigt hat, in England durch die Ăbernahme von Bezeugungs- und Beglaubigungspraktiken aus der Rechtsprechung, A Culture of Fact: England, 1550â1720 (Ithaca und London: Cornell University Press, 2000). Diese festigen die durch den sozialen Rang des Wissenschaftlers, durch instrumentelle Normierung bzw. durch Gelehrtenkreise bestĂ€tigte GlaubwĂŒrdigkeit der Tatsachen. FĂŒr diesen Hinweis danke ich Reto Rössler, Flensburg.â©
- Vgl. dazu: LichtgefĂŒge des 17. Jahrhunderts: Rembrandt und Vermeer, Leibniz und Spinoza, hrsg. von Caroline Bohlmann, Thomas Fink und Philipp Weiss (MĂŒnchen: Fink, 2008).â©
- Hier ist zu fragen, ob ein solcher Konstruktivismus nicht etwas zu leichtfertig an Descartes herangetragen wird, der ja, so indirekt die AuĂenwelt wahrzunehmen sein mag, dem Erkannten immerhin den Status der ObjektivitĂ€t bescheinigt â freilich einer ObjektivitĂ€t, die mit dem heutigen Begriff noch nichts gemein hat. Wie die Prinzipien (I, § 30, 33) bestĂ€tigt die sechste Meditation die ZuverlĂ€ssigkeit der Sinneserfahrungen und erklĂ€rt SinnestĂ€uschungen lediglich mit einer mangelhaften PrĂŒfung. Vgl. dazu Med. VI, § 7, § 10, § 24.â©
- An dieser Stelle dockt ein weiterer kĂŒrzlich erschienener Sammelband zum Thema der SinnestĂ€uschungen an, in dem Werner Wolf auf die SchlĂŒsselrolle von Corneilles LâIllusion comique (1636) als âSehanleitungâ fĂŒr eine Ă€sthetisch gewordene SinnestĂ€uschung hinweist. Die ĂŒberfordernde Erfahrung sinnlicher und inhaltlicher Ambivalenz schlĂ€gt hier um in eine Metareflexion ĂŒber die Bedingungen kĂŒnstlerisch reprĂ€sentierter Wirklichkeit. Vgl. ders., âVon magischer TĂ€uschung zu Ă€sthetischer Illusion: Pierre Corneilles Lâillusion comique als ,Schwellentextââ, in Kunst der TĂ€uschung â Art of Deception: ĂŒber Status und Bedeutung von Ă€sthetischer und dĂ€monischer Illusion in der FrĂŒhen Neuzeit (1400â1700) in Italien und Frankreich, hrsg. von Kirsten Dickhaut (Wiesbaden: Harrassowitz, 2016), 397â421. Der reichhaltige Band entwirft fĂŒr die FrĂŒhe Neuzeit eine Geschichte der SinnestĂ€uschungen als dĂ€monische Interventionen, wie sie auf Augustinus bzw. auf die scholastische Tradition zurĂŒckgehen â im Unterschied zu den beiden hier besprochenen Werken, die sich vornehmlich mit dem VerhĂ€ltnis von Literatur und einer Epistemologie des Sehens befassen.â©
- August Langens bewĂ€hrte Terminologie hĂ€tte hier zur Deutlichkeit der Analysen vielfach beigetragen. Er entwickelt sein Prinzip des Parallelsehens, dessen Wesensmerkmale Kontrast und Zusammenschau sind, explizit am Beispiel des Kupferstichs; die Verfahren der Entrahmung nutzt er darĂŒber hinaus, um die Illusionswirkungen des Theaters, poetologische Gattungsmischungen und den interdisziplinĂ€ren Ăbertrag rhetorischer Verfahren zu erlĂ€utern, vgl. dazu ders., Anschauungsformen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts: Rahmenschau und Rationalismus (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1965 [1931]).â©
- Allenfalls erahnbar bleibt, inwieweit hier eine sublimierende Bannung des Körpers und eine Verengung des sinnlichen Erlebens auf das Auge in ihre Schranken gewiesen werden; im Phaidros hatten sie einen eklatanten Bruch innerhalb der abendlĂ€ndischen Kultur markiert. Vgl. dazu Hartmut Böhme, Natur und Subjekt (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1988), 221â6.â©
- Vgl. dazu Fernand Hallyn, Les Structures rhĂ©toriques de la science: de Kepler Ă Maxwell (Paris: Seuil, 2004), 81 ff.; Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Bd. III (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1981), 727.â©
- Vgl. Lorraine Daston, âObjektivitĂ€t und die Flucht aus der Perspektiveâ, in dies., Wunder, Tatsachen und Beweise: zur Geschichte der RationalitĂ€t (Frankfurt a. M.: Fischer, 22003), 127â55; Lorraine Daston und Peter Galison: ObjektivitĂ€t (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007).â©
Ill.: Giuseppe Bertini  (1825â1898), Galileo Galilei che mostra l’utilizzo del cannocchiale al Doge di Venezia